Kritik zu Die Strände von Agnès
Mit der Wiederbesichtigung der Strände ihres Lebens bereitet Agnès Varda ihrem Publikum und sich selbst ein verspätetes Geschenk zu ihrem 80. Geburtstag: Sie setzt das Puzzle ihrer Autobiografie zusammen
»Ich hatte Lust auf Worte«, erinnert sich die Regisseurin am Drehort ihres ersten Films im südfranzösischen Sète. Bis dahin kannte sie als gelernte Fotografin nur Bilder. Nun war sie überzeugt: Wenn man Bilder und Worte verbindet, dann entsteht Kino. »Erst später habe ich gemerkt«, gesteht sie, »dass es weit mehr ist als das.« Aber allein schon den Worten zu lauschen, mit denen uns Agnès Vardas Stimme durch ihren jüngsten Film geleitet, ist ein Genuss. Aus ihnen klingt die bescheidene, auch wehmütige Entschlossenheit, die Bilanz ihres Lebens zu ziehen.
Schon in früheren Filmen war diese Stimme präsent, bekundete insgeheim den Wunsch nach einer individuellen Zwiesprache mit dem Zuschauer. In »Die Strände der Agnès« will sie ihrem Publikum darüber Rechenschaft ablegen, wie sich ihr Leben als Filmemacherin zugetragen hat. Strände sind zeitlos, sie altern nicht, sagt sie einmal. Wie viel Trost darin für die achtzigjährige Regisseurin liegen mag, sollte Gegenstand taktvoller Spekulation sein.
Ihre Bekenntnisse sind von diskreter Vertraulichkeit. Als Unterpfand der Wahrhaftigkeit stellt sie eine sachte Distanz zu sich selbst her. »Ich spiele eine kleine Alte, etwas rundlich und schwatzhaft, die ihr Leben erzählt«, sagt sie zu Beginn. Tatsächlich schillert der Film zwischen den Genres, entfaltet sich im leichtfüßigen Wechsel des Tonfalls und der Gattungen. Souverän verfügt sie über sämtliche Stilmittel, die ihr zu Gebote stehen, montiert Fotos, Filmausschnitte, Archivmaterial, Installationen und Tableaux vivants. Die Worte und Bilder dürfen ein vieldeutiges und rätselhaftes Bündnis eingehen.
Die Form der sprunghaft assoziierenden Collage müsste eigentlich die Vorstellung von Kontinuität dementieren. Aber dies Verfahren besitzt eine schöne Folgerichtigkeit in ihrer Biografie und ihrem Schaffen. Das Erzählprinzip der herumstöbernden Ernte knüpft direkt an ihren letzten Film »Die Sammler und die Sammlerin« an – Strände sind schließlich Orte, an denen wundersame Dinge angeschwemmt werden. Die Wiederbesichtigung von Drehorten ist vertraut aus den drei Filmen über ihren verstorbenen Mann Jacques Demy und dem Bonusmaterial der eigenen DVD-Editionen: als Frage, was die Arbeit an einem Film den Mitwirkenden und Zaungästen damals und heute bedeutet. Oder genauer: als Versuch, sich das gemeinsam erlebte Glück zu vergegenwärtigen.
Vardas Erinnerung ist überaus lebendig. Der Vergänglichkeit setzt sie massiven Widerstand entgegen. Er erschöpft sich nicht in der Nostalgie. Es sind stets Bilder aus der Gegenwart, die sie in die Vergangenheit zurückführen (und damit zugleich im Jetzt verankert sind). Dabei folgt sie einem vornehmen Lustprinzip, das sie Bilder auswählen lässt, an denen sie Freude hat und die ihr Kino seit langem nicht heimsuchen, sondern schmücken. Dieses dynamische Innehalten geschieht auf eigene Rechnung, gewiss. Aber es ist nicht hermetisch verschlossen. Die Spiegel, die sie eingangs an einem ihrer Strände aufstellen lässt, sind nur einmal auf sie selbst gerichtet, sonst aber auf den Strand und die Akteure, mit denen sie ihn fortan bevölkert. Dieses Selbstporträt möchte die Welt widerspiegeln, hegt die bange, anmaßende Hoffnung, auch von den anderen zu sprechen, wenn es von sich spricht. Vardas Schaulust ist zielgerichtet, aber sie erwartet nicht, etwas bestätigt zu finden, sondern überrascht zu werden. An den Orten, in die sich ihr Blick neuerlich versenkt, macht sie lauter unverhoffte Entdeckungen. In Avignon, wo einst ihre Karriere als Theaterfotografin begann, wecken Straßenmusikanten ihre Neugierde. In dem Haus im Brüsseler Stadtteil Ixelles, in dem sie ihre Kindheit verbrachte, wohnt nun ein Pensionär, von dessen Passion für Miniatureisenbahnen sie sich – bei aller gebotenen Ironie – faszinieren lässt. (Der Zuschauer erfährt sogar, dass es einen Fachausdruck für diese Obsession gibt.) Als sie im Haus einen Blick auf den Garten wirft, in dem sie mit ihren Geschwistern spielte, kommentiert die Regisseurin den Kameraschwenk mit den Worten »Das habe ich schlecht gefilmt.« Man stimmt ihr sogar zu. Aber in dieser Übereinstimmung hat sie eine Komplizenschaft mit dem Zuschauer besiegelt, der diesen Moment unwiderruflich in die Sphäre des Gelungenen rückt.
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