Kritik zu Die Rettung der uns bekannten Welt

© Warner Bros. Pictures

2021
Original-Titel: 
Die Rettung der uns bekannten Welt
Filmstart in Deutschland: 
11.11.2021
L: 
136 Min
FSK: 
Ohne Angabe

In seinem neuen Film beschäftigt sich Regisseur und Schauspieler Til Schweiger mit manischer Depression

Bewertung: 3
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Feiern bis der Arzt kommt. Keine Atempause. Denn wenn der Euphorie-Kick auch nur eine Sekunde nachlässt, lauert der Abgrund aus Angst, Panik und Lethargie. Nach dem Thema Demenz in »Honig im Kopf« greift Til Schweiger in seinem neuen Film die Krankheit der bipolaren Störung auf. In bewährter Manier verkörpert der Regisseur selbst einen verwitweten Architekten, dessen 18-jähriger Sohn das Schwungrad permanent überdreht.

In der Schule tanzt Paul (Emilio Sakraya) dem Lehrer auf der Nase herum. Und vor laufender Handykamera seiner Freunde stürzt er beinahe aus schwindelerregender Höhe vom Schornstein eines stillgelegten Industrieparks in den Tod. Aber nur beinahe – denn das ist ja alles nur Spaß. Als seine beiden kleinen Geschwister, auf die er hätte aufpassen sollen, derweil das Haus abfackeln, ist Schluss mit lustig. Der überforderte Vater verprügelt seinen unkontrollierbaren Sohn. Paul verübt daraufhin einen Suizidversuch. Worauf ihm klar wird, dass er es nicht alleine schafft.

Wie vermittelt man ein solch ernstes Thema einen Publikum, das nicht aus Akademikern oder Cineasten besteht? Wie macht man eine manisch-depressive Stimmung nachvollziehbar für Zuschauer, die einen unterhaltsamen Film sehen möchten, ohne hinterher das Gefühl zu haben, selbst zum Psychiater zu müssen? Til Schweiger bricht das Thema erwartungsgemäß herunter, auch darstellerisch. Kommen dem überforderten Vater die Tränen, dann geht einem das nicht nahe. Schweiger ist kein glaubhafter Darsteller.

Trotzdem funktioniert der Film. Und zwar gut. Das liegt an Emilio Sakraya, dem man das HB-Männchen mit nervös wippenden Knien durchaus abnimmt. Überzeichnete Szenen in der Luxus-Psychiatrie kippen dagegen in Klamauk: »Einer flog übers Kuckucksnest« als Comedy. Einmal jedoch brechen die Patienten, die von Tourette über Zwang bis hin zum Asperger eine Blütenlese bekannter Störungen ausagieren, zu einem Waldspaziergang auf. Eine junge Frau, die wegen ihrer quälenden Agoraphobie das Zimmer nicht verlässt, kann sie nur via Handyvideo begleiten. Eine berührende Szene der Sehnsucht, die den unsichtbaren Dämon im Kopf filmisch spürbar macht.

Auf eine solch nachvollziehbare Weise blickt der Film auch in den Kopf des manisch depressiven Paul. Gemeinsam mit Toni (Tijan Marei), die an frenetischen Wutausbrüchen leidet, flieht er aus der Psychiatrie. Mit einem geklauten Jeep starten beide auf der Überholspur durch, überfallen einen Juwelier und geben sich mit teuren Brillantringen das Ja-Wort. Doch die Euphorie in Pauls Gesicht gefriert allmählich zur Grimasse. Klar, es kann nicht so weitergehen. 

Adrenalin und Absturz werden dramaturgisch plump aber filmisch wirkungsvoll umgesetzt. Leider bremst der mit 136 Minuten überlange Film sich dank einschlägiger Versatzstücke bis hin zum Fäkalhumor aus. Gewöhnungsbedürftig ist der für Schweiger unerwartete Kotau vor der Woke-Ideologie. Es gibt kaum eine Nebenfigur, die nicht schwarz, schwul, lesbisch, muslimisch, türkisch oder sonstwie divers ist. Unter dem Strich gelingt Schweiger aber ein Film, der – trotz Hochglanz und Holzschnitt – das düstere Thema mit Witz und Phantasie vermittelt. Und zwar für zahlende Zuschauer, die nicht unbedingt Psychologie studiert haben.
 

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