Kritik zu Die Nachbarn von oben

© Wild Bunch

2023
Original-Titel: 
Die Nachbarn von oben
Filmstart in Deutschland: 
01.06.2023
L: 
88 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Im Schweizer Remake der spanischen Erfolgskomödie »Sentimental« von Cesc Gay wird eine Einladung zum Apero unter Nachbarn zum vergnüglich bösen, aber auch sehr wahrhaftigen Paartherapietheater

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Anna (Ursina Lardi) hat die Nachbarn von oben zum Apero geladen und wirbelt beflügelt durch die Wohnung, als Thomas (Roeland Wiesnekker) schlecht gelaunt von der Arbeit nach Hause kommt. Irgendwann könne man die ja einladen, aber doch bitte nicht gleich heute, meint er. »Die sind nett«, sagt die Frau. »Das sind Idioten«, kontert der Mann. Allein schon die Art, wie sie immer mit einem fröhlichen »Hallo zusammen« grüßen, nervt ihn, und überhaupt, der Teppich, der plötzlich mitten im Wohnzimmer liegt: womöglich gekauft, um die zu beeindrucken?

Es ist hinreißend, wie pointiert hier aus nichtigen Konversationen und banalen Bemerkungen, aus kleinen Gesten und flüchtigen Blicken die ganze Misere einer dahinmickernden Ehe destilliert wird. Allein die Art, wie Anna immer leicht dahingesagt von seinem »Fernglas« auf dem Dach spricht, und Thomas gebetsmühlenartig belehrend korrigiert: »Teleskop«. So schlecht gelaunt kommt er nicht wegen der unliebsamen Einladung nach Hause, sondern auch, weil seine Arbeit als Musiklehrer ein schaler Ersatz für die Pianisten-Karriere ist, mit der es nicht geklappt hat, wofür wiederum das Klavier in der Mitte des Wohnzimmers ein düsteres Mahnmal ist. »Früher waren wir dir wichtig: du und ich«, stellt Anna resigniert fest.

Erstaunlich, wie viel Tiefe derartig einfache Sätze transportieren können, wie viele Verletzungen, Vernachlässigungen, Missachtungen darin mitschwingen, welche Beziehungsabgründe sie eröffnen. Sehr viel hat das mit den so pointierten wie wahrhaftigen Dialogen zu tun: Ohne das spanische Original »Sentimental« gesehen zu haben, spürt man, wie feinfühlig Alexander Seibt die Vorlage des Spaniers Cesc Gay, der sein eigenes Theaterstück fürs Kino erfolgreich verfilmte, auf Schweizer Verhältnisse übertragen hat. 

Ebenso viel hat es mit der unangestrengten Wahrhaftigkeit zu tun, mit der die Schauspieler diese Dialoge in vielen Nuancen in gelebte Gefühle verwandeln, in einem Kammerspiel, dass jede Theaterhaftigkeit in den ersehnten Wind der Veränderung schlägt. Wie leicht könnte die bürgerlich verfangene Ehefrau zur unattraktiv frustrierten Nervensäge werden, doch Ursina Lardi hält sie wunderbar in der Schwebe, zwischen berechtigter Enttäuschung und aufkeimender Hoffnung, zwischen unterdrückter Lebenslust und aufmüpfigen Sticheleien. 

Als Anna gerade klein beigeben und den Nachbarn telefonisch absagen will, klingelt es schon an der Tür, und sie stehen mit entwaffnender Fröhlichkeit, zwei Flaschen Wein und einem selbstzubereiteten Apero-Snack auf der Matte, auf dessen aphrodisische Wirkung sie alsbald hinweisen. Und dann drehen sie Thomas' verklemmt im Raum stehenden Vorwurf der Belästigung durch lautstarke Liebesspiele offensiv in ein unerhörtes Angebot, das den im Beziehungsmorast steckenden Thomas empört und die um Veränderungen ringende Anna durchaus interessiert. Und en passant bringen der Feuerwehrmann und die Lebenstherapeutin ihre beruflichen Fähigkeiten dahin, wo sie dringend gebraucht werden.

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