Kritik zu Die Missetäter

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Rodrigo Morenos Film beginnt als Heistmovie, endet als Abgesang auf die Freiheit eines Gauchos und betreibt zwischendurch ein schwarzhumoriges Vexierspiel mit Anagrammen und Film-im-Film-Anspielungen

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Drei Jahre Gefängnis oder lieber zwanzig weitere Jahre Büro? Diese Frage beantwortet sich Morán (Daniel Elías), Bankangestellter aus Buenos Aires, auf seine Weise. Hinter einer tonnenschweren Tresortür im Keller seiner Bank zählt er tagein, tagaus Geldscheine. Wie sollten dabei keine Begehrlichkeiten aufkommen? Dummerweise sind die Sicherheitsvorkehrungen akribisch ausgetüftelt. Dennoch zweigt Morán 650 000 Dollar ab. Nein, gierig ist dieser untersetzte Vierzigjährige nicht wirklich. Er zahlt sich nur genau die Summe aus, die er in den zwanzig verbleibenden Arbeitsjahren ohnehin verdienen würde. Dafür, so der Plan, wird er nach verbüßter Haftstrafe das Geld und die Freiheit genießen können.

Der Plot allein gibt allerdings einen ganz falschen Eindruck. Ähnlich wie Laura Citarella in ihrem vierstündigen Filmgedicht »Trenque Lauquen« entführt der ebenfalls aus Argentinien stammende Autorenfilmer Rodrigo Moreno den Betrachter in eine ganz eigene Welt. Die Abzweigungen von konventionellen Genremotiven markiert er dabei mit unterschwelligem Humor. So erinnert die Musikuntermalung einmal an Janet Leigh, die in Hitchcocks »Psycho« ja auch viel Geld unterschlägt. Peitschende Geigenklänge kehren ihre innere Anspannung akustisch nach außen. In »Die Missetäter« spaziert Morán mit der Geldtasche durch die Häuserschluchten von Buenos Aires. Die nervenzerreißenden Klänge von Bernhard Herrmann werden dabei zu einem melancholischen Tango variiert.

Der Spannungsdramaturgie kehrt der Film auf diese Weise bald den Rücken. Die über drei Stunden mäandernde Geschichte spaltet Moreno in zwei parallel entwickelte Schicksale auf. Während Morán sich hinter Gittern mit einem Schutzgelderpresser arrangiert, wird in einer buchstäblichen Spiegelfuge die Geschichte seines Kollegen (und unfreiwilligem Komplizen) Román (Esteban Bigliardi) entfaltet. Drinnen oder draußen – 
was ist der Unterschied? Eine Antwort erteilt das in einer betrüblichen Farbpalette zwischen Eierschalen und Grün-Braun gehaltene Szenenbild nur indirekt.

Verliebt Román sich an einem Bergsee in die liebreizende Norma, so verharrt die Kamera spürbar zu lange auf idyllischen Landschaftsbildern. Wie soll man diese atemberaubenden Naturpanoramen genießen, wenn sie – nach gelungenem Ausbruch aus der Enge der Bürowelt – alltäglich geworden sind? Die Antwort darauf formuliert der Film nicht als »Botschaft«. Beide Hauptdarsteller, Daniel Elías als mausgrauer Geldzähler mit Schmerbauch und Esteban Bigliardi in der Rolle des farblosen Komplizen Román, brennen bewusst kein schauspielerisches Feuerwerk ab. Am Ende dieses vexierartigen Spiels mit Anagrammen, literarischen Verweisen und Film-im-Film-Anspielungen sieht man einen verloren wirkenden Morán als Gaucho einsam über die Pampas reiten. Es ertönt dazu sein Lieblingslied, das er als Vinylscheibe stets mit sich führt, »Adonde Está la Libertad?« (Wo ist die Freiheit?), ein unwiderstehlicher Blues, den die argentinische Formation Pappo's Blues schon 1971 aufnahm.

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