Kritik zu Die Geheimnisse des schönen Leo
Der Enkel Benedikt porträtiert das Leben des Großvaters Leo Wagners, der für die CSU in den 60er und 70er Jahren im Bundestag saß und vielleicht der Stasi zugearbeitet hat, in jedem Fall aber eine Existenz voll Doppelmoral führte
Heute wäre sein Auftreten wohl schwer #MeToo-gefährdet. Gleich mehrere Geliebte zur gleichen Zeit unterhielt der Mann mit dem etwas selbstgefälligen Zug um den Mund gerne. Im Kölner »Chez Nous«, wo er diskret als »absoluter VIP-Gast« (so ein ehemaliger Barkeeper) geführt wurde, konnte er an einem Abend schon mal 1200 DM verbraten. Nach außen machte der CSU-Bundestagsabgeordnete Leo Wagner auf Familienwerte. Doch der kostspielige Lebenswandel hatte seinen Preis.
Und so begann für den Strauß-Spezi und parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe und später der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ab 1973 der sukzessive Abstieg. Erst mit einem Verfahren wegen massiven Kreditbetrugs und dann Vorwürfen der Spionage für die Staatssicherheit der DDR. Dabei steht seit einiger Zeit auch der Vorwurf im Raum, dass der designierte Innenminister der nach dem Misstrauensvotum von 1972 angepeilten Barzel-Regierung einer der beiden abtrünnigen Abgeordneten war, die im Auftrag der Stasi gegen den CDU/CSU-Antrag gestimmt hatten.
Diese (übrigens damals schon mit Hexenjagdvorwürfen gekonterten) Vorgänge gehören zur bekannten Seite der Geschichte. Die andere blieb bisher verdeckt im Familiären. Sie bringt den Filmemacher Benedikt Schwarzer ins Spiel, einen Enkel Leo Wagners, der an der Münchner HFF ein Filmstudium absolviert hat und die Figur des oft abwesenden Großvaters selbst nur als vagen Schatten über dem Familienleben wahrnahm. Doch die von starker Ablehnung geprägten Erinnerungen seiner Mutter machten die Frage nach der Rolle von Opa Wagner im Familiengefüge auch für den Sohn relevant.
Filme über die Familienverhältnisse von Filmemachern haben bei der Kritik nicht den besten Ruf. Dieser hier kommt noch dazu im klischeeträchtigen Format der »Presenter«-Reportage, die den Regisseur und Enkel zum Ende des Intros entschlossen blickend ans Steuer eines Oldtimers platziert und zu nachdenklichem Klaviergeklimper aus dem Off die formatübliche Routinefloskel aufsagen lässt: »Es ist höchste Zeit. Ich will wissen, was damals wirklich geschehen ist.« Dann geht's los.
Auch im Weiteren ist das Procedere von Interview zu Interview als Form nicht wirklich inspirierend. Dass der Film dennoch höchst interessant ist, liegt daran, dass bei den Recherchen zu Wagners Vergangenheit neben den bewegten Jahren um die erste SPD-Kanzlerschaft auch die heutzutage so ferne Lebenswirklichkeit der frühen Bundesrepublik samt ihrem Personal noch einmal lebendig wird. Dazu gehört der diskrete Chauffeur, der seinen Patron zum Stelldichein fährt und von unbekannten Männern an dunklen Plätzen dick gefüllte Umschläge entgegennahm. Oder das Originalmaterial aus einem CSU-Wahlspot. Vor allem aber geben die Berichte auch starke Einsichten in die privaten Folgen einer patriarchalen Moral, bei der die intakte Familie im Hintergrund nur als moralisches Alibi für die Eskapaden des öffentlich agierenden Mannes diente. Damit dürfte die Familie Wagner – und damit auch das Sujet dieses Films – repräsentativ für viele andere jener Zeit stehen.
Kommentare
Matriarchalische Kukuckskinder
Bezeichnend, dass Frau Hallensleben zwar die Ausschweifungen Wagners beschreibt, aber die Kuckuckskinder, die seine Frau ihm bereits vor Wagners Zeit in Bonn beschert hat, völlig ignoriert. Frauen dürfen das also, Frau Hallensleben? Seltsames Patriarchat.
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