Kritik zu Die Frau im Mond

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In Cannes war die Adaption des Romans von Milena Agus ein weitgehend ungeliebter Film. Der französischen Filmakademie war Nicole Garcias Melodram, das aus der Zeit gefallen scheint, indes acht Nominierungen wert

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Immer wieder richtet sich der Blick der Kamera auf Türen, die halb geöffnet sind. Was sie durch den Spalt erspäht, entzieht sich zunächst dem Begreifen der Schauenden. Oft ist es ein gestohlener Blick, der in eine Sphäre des Anderen, des Fremden fällt. Er markiert eine Überschreitung; es entzünden sich unterschiedliche Absichten und Sehnsüchte an ihm.

Am Scheitelpunkt der Geschichte entsteht ein Spannungsmoment aus der Frage, wer die Tür zu einer Wohnung öffnen wird, an die zuvor ungezählte, vergebliche Liebesbriefe geschickt wurden. Die Antwort könnte über das Schicksal von Gabrielle (Marion Cotillard) entscheiden. Ein unstillbares Begehren hat sie hierhin geführt. Sie verlangt mehr vom Leben, als es ihr bisher geben konnte. Als die Wohnungstür geöffnet wird, gibt der Film ihrem Geschick eine Richtung, die nicht vorherzusehen war und sich als heilsam erweisen wird.

»Die Frau im Mond« gehört zu jener Art von Melodram, die man schon vollends ans Fernsehen verloren glaubte. Nicole Garcias Film führt zurück in eine Kinoepoche, in der Heldinnen noch Anstoß erregten, weil sie festhalten an Träumen, die in ihrer engen, rustikalen Welt keinen Widerhall finden. Garcia und ihr bewährter Koautor Jacques Fieschi haben die Handlung, die in der Romanvorlage auf Sardinien spielt, fest in der Provence der 50er Jahre verwurzelt.

Sitte und Tradition fordern, dass die unangepasste Gabrielle domestiziert wird. Der spanische Saisonarbeiter José (Alex Brendemühl), der vor dem Franco-Regime geflohen ist, wäre eine geeignete Partie. Die Eheschließung ist ein brüsk geschlossener Handel. Gabrielle hätte die Chance, sich zu widersetzen. Nun stellt sie Regeln für das Zweckbündnis auf. Es dauert nicht lange, bis die Ehegatten den Schwur brechen, nie miteinander zu schlafen. Fast kommen sie sich dadurch nahe. Gabrielles Nierenleiden – die »Steinkrankheit«, welcher der Film seinen Originaltitel verdankt –, verhindert eine Schwangerschaft. Während einer Kur in den Alpen verliebt sie sich in den Offizier André (Louis Garrel), dessen Lebensmut und Kräfte in Indochina erloschen sind. Im Sanatorium erlebt Gabrielle ihre glücklichste Zeit. Sie bekommt einen Sohn, der vielleicht das Musiktalent des Kriegsheimkehrers geerbt hat. Die Briefe, die sie nach ihrer Heimkehr an den Geliebten schreibt, bleiben ohne Antwort.

Die Komplizenschaft, die zwischen Eheleuten entstehen kann, in deren Verbindung die Liebe eigentlich keine Rolle spielen sollte, ist dem Film teuer. Diskret knüpft er Bindeglieder. Es bedarf indes einiger Volten, bis sie einander wirklich kennenlernen. Cotillard spielt Gabrielle mit aufgeklärter Ergriffenheit. Aber die kleine, stille Sensation des Films ist ihr Partner. Brendemühl spielt José, dem seine Frau nichts vorzuwerfen hat und dessen Geduldsfaden nur einmal reißt, als stolzen, verschwiegenen Ruhepol. Selten nur gibt sein Antlitz eine hellsichtige Wehmut preis. Er spricht mit gepresster Stimme. Aber jedes Wort lässt erahnen, wie unermesslich reich das Innenleben dieses Mannes ist, der alles dafür geben würde, dass seine Frau den Aufruhr ihrer Gefühle überlebt.

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