Kritik zu Die Epoche des Menschen
Nicht wieder gut zu machende Eingriffe: Ein engagiertes Filmemachertrio aus Kanada liefert eine Rundum-Abrechnung mit dem Anthropozän und unterstreicht sie mit beeindruckenden Bildern
Befund und wissenschaftlicher Begriff des Anthropozän werden seriös kaum noch bestritten. Forschung, Bücher und Ausstellungen waren und sind dieser bisher letzten Erdepoche gewidmet, in der wir Menschen unumkehrbar in Gesicht und Geschichte des Planeten eingreifen. Filme und TV-Dokus auch, zuletzt etwa 2019 Nikolaus Geyrhalters beeindruckender Dokumentarfilm »Erde«, der Zeugnisse menschlicher Eingriffe in die krustige Oberfläche des Planeten versammelte.
Ein ganz dezidiert das Anthropozän thematisierender Film erscheint bei uns erst jetzt, hatte aber schon im Herbst 2018 beim Filmfestival von Toronto Premiere. Dabei sind Berührungspunkte zu Geyrhalters Film deutlich, auch weil beide Projekte zum Teil ganz ähnliche oder sogar die gleichen (sich durch inhaltliche Relevanz und Fotogenität auszeichnende) Orte aufsuchen: Den Braunkohletagebau in Ungarn und im linksrheinischen Revier oder die aufwendigen Bauarbeiten an Basis-Eisenbahn-Tunneln in den Alpen. In den Marmorsteinbrüchen von Carrara, wo beide Filme auf Motivsuche waren, klingen die Statements der Arbeiter von der enormen Beschleunigung des Abbruchs durch die Maschinisierung der letzten Jahrzehnte fast identisch – und sind deshalb nicht weniger überzeugend.
Im Unterschied zu Geyrhalter widmet sich das Team um Jennifer Baichwal und Kameramann Nicholas de Pencier der ganzen Breite menschengemachter planetarer Effekte, vom Rohstoffabbau, der Klimaerwärmung, »Terraforming« und »Technofossilien« (so Kapitelüberschriften) bis zum Artensterben. Dabei stehen neben einer faktenorientierten (in der deutschen Fassung von Hannes Jaenicke eingesprochenen) Erzählung oft eher knappe Statements verschiedener ProtagonistInnen und viele oft atmosphärisch starke (schöne wie abschreckende), sanft bewegte Bilder, die wie in den beiden vorangegangenen Filmen unter Mitarbeit des Fotografen Edward Burtynsky gedreht und zum Teil opulent montiert wurden. Einen kurzen und starken musikalischen Auftritt hat ein junger Arbeiter auf einer gigantischen kenianischen Mülldeponie, der in seinem Song in nicht mal einer Minute die Rede von der Bedeutung der Bildung für das Weiterkommen des Einzelnen ad absurdum führt.
Ich habe den Film – aus technischen Gründen – zweimal gesehen. Das erste Mal stumm, nur mit den Untertiteln der nicht-deutschen Originaltöne. Das zweite Mal mit allen Geräuschen, Stimmen, Musik und Kommentar. Ein Experiment, das positiv für die stumme Fassung ausging, auch wenn sich die Musik des Films eher im diskreten Bereich hält und es ohne Geräusche an Atmosphäre fehlt. Wohltuend aber das Fehlen von Schulfunk-Sätzen wie »Landwirtschaft und Viehzucht haben bereits ein Drittel der eisfreien Erdoberfläche verändert« die (jedenfalls mich) nur von der Konzentration auf die Komposition ablenken, bevor sie direkt ins Vergessen wandern. Fakten müssen sein. Aber in Zeiten des Internets scheint es auch lernpsychologisch sinnvoll, diese nach dem Film in Eigenregie zu checken und zu sichern.
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