Kritik zu Die anonymen Romantiker
Im Original, Lés Emotifs anonymes, ist zwar von Hochsensiblen die Rede. Aber der clevere deutsche Verleihtitel führt nicht ganz und gar auf die falsche Spur, denn als Romantiker erweisen sich Jean-Pierre Améris' Figuren allemal
Bei bestimmten Themen geht ein Filmemacher auf Nummer sicher, wenn er erklärt, er wolle, dass der Zuschauer mit den Figuren und nicht über sie lacht. Das verlangt einerseits hohe Kunst und ist andererseits oft Heuchelei. Man scherzt nicht ungestraft über kranke oder mit einem Handicap belastete Menschen; es sei denn, man heißt Blake Edwards. Der wusste genau, dass der Slapstick in der Regel gerecht ist und Missgeschicke nur selten die Falschen ereilen. Jeder sollte einmal das Privileg genießen, verspottet zu werden.
Wie nun soll sich ein Komödienregisseur gegenüber hochsensiblen, krankhaft schüchternen Personen verhalten? Für die erste Dialogszene seines Films hat Jean-Pierre Améris eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Als seine Heldin Angélique (Isabelle Carré) in ihrer Selbsthilfegruppe für Hochsensible aufgefordert wird zu sprechen, fällt sie in eine putzige Ohnmacht. Über diesen Gag mag lachen, wer will – unangebracht ist die Reaktion jedenfalls nicht. Es ist ungeheuer bedauernswert, so empfindsam und gehemmt zu sein, dass jedes Wort an einen Mitmenschen eine enorme Überwindung kostet. Aber es hat eben auch seine lächerlichen Aspekte.
Améris hält seinen Film von nun an in einem freundlichen Schwebezustand. Die Begegnung der Chocolatière Angélique mit ihrem vermeintlich cholerischen neuen Chef Jean-René (Benoît Poelvoorde) gebiert eine Situationskomik, in der es nicht um Ungeschick geht, sondern um Mut. Denn Jean-René leidet an dem gleichen Problem wie sie. Er muss all seinen Schneid aufbieten, um ihr überhaupt die Hand geben zu können. Als er es nicht schafft, diese wieder loszulassen, tritt er glücklicherweise die Flucht nach vorn an und gibt ihr einen Kuss.
Die Liebesgeschichte, die sich Améris und sein Koautor Philippe Blasband für die beiden ausgedacht haben, ist keine Gratwanderung. Die Fallhöhe, die sie errichten, ist gering. Sie umgeben ihre Helden mit wohlwollenden Gemeinschaften: ihrer Selbsthilfegruppe und der kleinen Belegschaft der Pralinenmanufaktur, die Renés Familie seit Generationen betreibt. Sie stellen sie nicht in eine feindselige Welt, sondern in ein der Gegenwart entrücktes Ambiente, in dem die bedrohlichen Sinnesreize des Alltags gedämpft werden. Die zweifache Schüchternheit ist natürlich ein trefflich retardierendes Moment in einer romantischen Komödie. Umsichtig führen Améris und Blasband einen zweiten Erzählstrang parallel zur Liebesanbahnung; ein Kunstgriff, der dem ersten Anschein nach an die Mechanismen einschlägiger Hollywoodkomödien erinnert. Der Film betracht die Lebensangst von Angélique und Jean-René nicht nur als Hemmnis ihrer romantischen, sondern auch ihrer beruflichen Identität. Das verschlafene Familienunternehmen muss dringend neu aufgestellt werden. Als Vertreterin ist Angélique anfangs natürlich kapital fehlbesetzt. Aber es trifft sich prächtig, dass die Chocalatière lernt, ihre Begabung nicht mehr unter dem Scheffel zu stellen. Ihre phantasievollen Kreationen könnten die kleine Manufaktur vor dem drohenden Ruin bewahren. Das Geschäftsmilieu ist klug gewählt: Vor Schokolade muss man keine Angst haben.
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