Kritik zu Der unglaubliche Hulk
Nach dem »Iron Man« stürmt nun der nächste Marvel-Comic-Superheld auf die Leinwand: der grüne Wüterich Hulk. Und er verblüfft durch seine »humane Inkarnation«: Edward Norton
Der Casting-Coup ist den Marvel-Studios gelungen. Mit Robert Downey Jr. als »Iron Man« und nun mit Edward Norton als Bruce Banner/Hulk hat das Comic-Imperium für seine jüngsten Kinoabenteuer zwei Darsteller zu Helden gekürt, die man niemals mit einem Superhelden-Action-Universum in Beziehung gebracht hätte. Man kannte beide aus ambitionierten Projekten, differenzierten Charakterrollen. Downey Jr. – der in »Der unglaubliche Hulk« einen kurzen, augenzwinkernden Gastauftritt absolviert – erwies sich als ideale »Iron Man«-Besetzung, brillierte in der Rolle des smarten, ironisch-sarkastischen Dandy-Draufgängers, der in Hightech-Ritterrüstung den Kampf gegen das Böse aufnimmt.
Typologisch muss Edward Norton das Gegenteil verkörpern: einen einsamen, auf der Flucht befindlichen, von Selbstzweifeln zerquälten Wissenschaftler, der seinen inneren Dämon bekämpft. Der hager-asketische Norton, der am Drehbuch mitgearbeitet hat, passt haargenau für diese Rolle, kann darin bedeutend überzeugender agieren als Eric Bana in Ang Lees »Hulk«-Verfilmung von 2003. Denkt man an Nortons Charaktere in »American History X« oder »Fight Club«, wird klar, dass er für die Figur eines Schmerzensmannes, der seine innersten Gewaltimpulse nur schwer zügeln kann, genau der Richtige ist. Er kann wunderbar leiden und einsam sein.
Für alle, die mit dem »Hulk«-Mythos nicht so vertraut sind: Bruce Banner ist ein genialer Wissenschaftler, der bei einem Selbstexperiment zu viel Gammastrahlen abbekommen hat und sich fortan in einer prekären Dauerpanik befindet. Wenn er sich zu sehr erregt und wütend wird, verwandelt er sich in das grüne Hulk-Monster, das aussieht wie ein riesiger, mit einer Überdosis Anabolika gefütterter Wrestling-Kämpfer, der alles kurz und klein hauen kann und nahezu unver- wundbar ist.
Die schizoide Doppelgestalt Banner/Hulk erinnert in ihrer Anlage an Dr. Jekyll/Mr. Hyde: hinter der Fassade gutbürgerlicher Gesittung und wissenschaftlicher Rationalität warten die rohen, triebhaften Aggressionsimpulse auf ihren Durchbruch. In seiner äußeren und inneren Statur hat der Hulk – wie ihn Regisseur Louis Leterrier (»Transporter« 1 und 2) hier in Szene setzt – etwas von King Kong. Tatsächlich gibt es ausdrücklich als King Kong-Reminiszenz inszenierte Bildfolgen: wenn der Hulk seine Liebste, die Wissenschaftlerin Betty Ross (Liv Tyler), auf Händen in eine schützende Höhle trägt und seine Fäuste dem blitzeschleudernden Himmel entgegenreckt.
Zu Beginn wird die Banner/Hulk-Vorgeschichte in einer schnellen Montage resümiert – und dann folgt die stärkste Passage des Films. Banner ist in einer brasilianischen Slumsiedlung untergetaucht, arbeitet in einer Softdrinkfabrik, trainiert fleißig, um seine Wutimpulse in den Griff zu kriegen, hält Mail-Kontakt mit der geliebten Betty und flüchtet vor dem Sondereinsatzkommando, das Bettys Vater, General Thaddeus »Thunderbolt« Ross (William Hurt), ihm auf den Hals hetzt.
All dies ist in einem spannungsreichen Actiontempo erzählt, und zugleich kann Norton der Figur des Wissenschaftlers, der verhindern will, dass die Gammatechnologie als militärische Waffe genutzt wird, eine nervös flackernde und zupackende Kontur verleihen.
Es ist beinahe eine Enttäuschung, wenn sich die erste Hulk-Mutation ereignet, die als Spektakel hübsch anzusehen ist, aber den inneren Konflikt Banners irgendwie plattmacht. Besonders markante »locations« hat sich der Film für die Hulk-Auftritte nicht ausgesucht. Der nächste ereignet sich auf dem Uni-Campus, wo Banner mit seiner Betty ein kurzes aber gefühlsstarkes Wiedersehen feiert. Der Showdown findet irgendwo in den Straßen New Yorks statt, wenn der Hulk gegen den gemeingefährlichen »Abomination«, die Mutationsgestalt des bösen Emil Blonsky (Tim Roth), in einem Monster-Wrestling-Match antritt. »Der unglaubliche Hulk« ist spannend in der Charakterzeichnung Banners durch Edward Norton. Verglichen mit »Iron Man« aber fehlt der ironische Witz, der solch ein Wut-Mutanten-Spektakel zum durchgängigen Vergnügen machen könnte.
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