Kritik zu Der Rote Punkt
In dem auf dem Festival in Hof mit dem Förderpreis ausgezeichneten Filmdebüt geht eine Japanerin in Deutschland auf Spurensuche nach ihren Eltern
Die Japanerin Aki befindet sich am Ende ihres Deutschstudiums und muss bald eine Entscheidung über ihre Zukunft treffen. Auch ihr Freund drängt sie, sich in der Welt zu positionieren. Doch Aki blockt ab, läuft wie eine Schlafwandlerin durch das belebte Tokio und träumt nachts von vorbeirasenden Tannenwäldern, Erinnerungsfetzen aus ihrer frühesten Kindheit. Bei einem Besuch bei ihren liebevollen Adoptiveltern öffnet sie endlich jenes Paket, das die Hinterlassenschaft ihrer Eltern, darunter eine Fotokamera und eine markierte Straßenkarte, enthält. Kurz entschlossen fliegt Aki nach Deutschland, um jenen Ort zu finden, an dem vor über zwanzig Jahren während eines Urlaubs ihre Eltern und ihr kleiner Bruder bei einem ungeklärten Autounfall ums Leben kamen.
Im ländlichen Ostallgäu fragt sie auf einer Polizeiwache nach dem Weg und begegnet einem jungen Motorradraser und dessen zornigem Vater, der ihn abholen muss. Der Polizist bittet ihn, das Mädchen an jenem Punkt abzusetzen, der auf der Karte aus Akis elterlichem Nachlass rot eingezeichnet ist. Mit dieser Begegnung ist bereits fast alles aufgedeckt, was es aufzudecken gibt in diesem kleinen Bewusstseinsdrama, das noch zu Beginn wie eine Detektivgeschichte anmutete.
Aki, die sternschnuppengleich in die vermeintliche dörfliche Idylle aufschlägt, bringt das Verdrängte wieder ans Tageslicht. Wichtiger aber als die Enthüllung einer ungesühnten Schuld ist hier die Ausstrahlung der Tat durch Zeit und Raum auf Täter und Nachkommen. So liegt das Augenmerk dieses kleinen Debütfilms auf dem Atmosphärischen, im meditativen Zusammenfließen von Vergangenheit und Gegenwart, Orten, Kulturen und Gefühlen, die ein System kommunizierender Röhren bilden. Wenn das zarte, somnambule Geschöpf mit seinem riesigen Rucksack an der Landstraße entlangläuft, wirkt die Voralpenlandschaft so fremd wie zuvor die Metropole Tokio. Paradoxerweise verbindet dieses Fremdheitsgefühl beide Orte. Auch Vater Johannes, ein wortkarger Holzschnitzer, erkennt die Rückkehrerin sofort. Mit schweigender Missbilligung beobachtet er, wie seine Kinder, besonders sein aufsässiger Sohn Elias, sich der vermeintlichen Touristin annehmen und sie als Gast aufnehmen. Wie magnetisch anzogen, hilft Elias der stillen Aki bei ihrer Suche nach einem Gedenkstein und kommt dabei dem Grund des Unbehagens seines verschlossenen Vaters auf die Spur.
Mit ihrer psychoanalytisch geprägten, assoziativen Erzählweise will Regisseurin Marie Miyayama die Formelhaftigkeit dramatisch zugespitzter »Plot Points« umgehen. Dramaturgisch geht dies aber oft auf Kosten einer schlüssigen Handlung. Sei's weil Aki kaum Deutsch kann, sei's japanische Introvertiertheit: Informationen werden länger verzögert, als es der Logik guttut. Allzu konstruiert wirkt auch der Vater-Sohn-Konflikt, und Indizien und Motive sind oft dicker aufgetragen als nötig. Andererseits ist das Zusammenwirken katholischer Muttergottesstatuen mit einem japanischen Leichenschmaus samt fröhlich plaudernder Geister auf bayerischen Wiesen nicht nur ökumenisch sinnstiftend, sondern außerordentlich apart.
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