Kritik zu Der Rhein fließt ins Mittelmeer
Der israelische Filmemacher Offer Avnon lebt seit 30 Jahren in Deutschland. In seinem Dokumentarfilm geht es ihm um gegenseitige Verdrängungen und Projektionen zwischen den Nachfahren von Tätern und Opfern der Shoa
Eine Frau hält ein Stück aus einer prächtigen alten Tür mitsamt Klinke und Schnapper in die Kamera. Die Tür stammt aus der ehemaligen Textilhandlung ihrer Großeltern in Görlitz, die in den Novemberpogromen 1938 verwüstet und zerstört wurde. Die Frau bewegt demonstrativ die Klinke, doch der große Schlüssel will sich nicht drehen: ein starkes Bild für den komplizierten Zugang zu unseren persönlichen und kollektiven Erinnerungen. Es ist der Umgang mit solchen Gedächtnisspuren, um die es in diesem Film geht.
Retraumatisierungen sind zurzeit ein breit verhandeltes Thema. Für die Nachfahren von Überlebenden der Shoah ist ganz Deutschland ein Netz unterschiedlichster Trigger. Bei der Tochter einer KZ-Überlebenden löste während ihres ersten und einzigen Berlin-Besuchs schon die Taxifahrt ins Hotel einen ganzen Film aus Gewaltbildern aus. So ging es auch dem israelischen Filmemacher Offer Avnon, der ebenfalls Sohn eines Überlebenden ist, mit 30 Jahren »ohne plausiblen Grund« nach Deutschland zog und zehn Jahre im Rheinland blieb. Land und Sprache gefielen ihm gut, doch den Holocaust habe er in der Zeit »nicht, auch nicht für einen einzigen Tag vergessen«, sagt er.
Eine Widersprüchlichkeit, die in verschiedenen Varianten auch diesen Film füttert. Dabei setzt Avnon aus Fragmenten mit Statements jüdischer und nichtjüdischer Menschen aus Israel, Deutschland und Polen und Stadtbildern aus Berlin, Potsdam, Görlitz, Haifa, Warschau oder Königswinter ein Mosaik zusammen, das den ZuschauerInnen großzügigen Rahmen für eigene Assoziationen gibt: ein historisches »Gaswerk«-Schild, Stapel von monotonen Blumenschachteln zu einem israelischen Gedenktag, verschiedene Einzäunungen und Absperrungen...
Die Statements versammeln sehr unterschiedliche Formen, die historischen Erfahrungen zu verarbeiten – vom Schuldbekenntnis über Relativierung bis zur pauschalisierten Abwertung von »Polen« oder »Juden«. Im ländlichen Idyll rehabilitiert ein bayerischer Rechtsextremist die NSVergangenheit seiner Familie damit, dass alle Nazigegner nur opportunistische Lügner seien. Leider nur kurz präsent ist die Tochter einer polnischen Antisemitin, die nach einem Israelbesuch im Warschauer Museum für die Geschichte der polnischen Juden arbeitet und dieses für sich als »safe place« bezeichnet.
Die Schnitte sind meist abrupt, es soll bloß nicht gemütlich werden. Das gilt auch für den Umgang mit den israelischen Verwandten und Freunden, die Avnon mit dem Schicksal der arabischen Bevölkerung des Landes konfrontiert. So gibt die Tochter eines Überlebenden zu, noch nie darüber nachgedacht zu haben, wem die stattlichen, verfallenen Häuser in Haifa einst gehört haben könnten. Und Avnons Vater ist sich sicher, dass im Fall eines Krieges die Araber des Landes alle Juden töten würden, scherzt aber mit seinem arabischen Schlachter. Auch dies ein Widerspruch, den der Film aufmerksam aufzeichnet. Eine Lösung verspricht er zum Glück nicht.
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