Kritik zu Der Perlmuttknopf

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In Patricio Guzmáns Essayfilm ist alles miteinander verbunden, die Kolonisierung Chiles im 19. Jahrhundert und die Morde der Pinochet-Diktatur ebenso wie die majestätische Schönheit des Ozeans und die subversive Kraft von Gedichten

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Die Verhältnisse täuschen. Der Wassertropfen, der in dem Quarzblock eingeschlossen ist, wirkt winzig. Ein wenig bewegt er sich zwar hin und her. Aber die Erstarrung, die ihn in allen Richtungen umgibt, kann er nicht lösen. Der kristallene Block und der eine Tropfen, der keine Ruhe gibt, das ist natürlich auch ein Bild für die Verhältnisse in Chile seit jenem verhängnisvollen 11. September 1973, an dem das Militär unter General Pinochet mit US-amerikanischer Unterstützung gegen die demokratisch gewählte Regierung Salvador Allendes putschte.

An diesem Tag und in den langen Jahren, die ihm folgten, hat die chilenische Gesellschaft sich bereitwillig immer weiter selbst verhärtet. Die Ideologie Pinochets und die Gewalttaten seiner Schergen hatten einen kristallisierenden Effekt. Aber dennoch ist etwas von dem zurückgeblieben, was vorher war: vielleicht nur ein einzelner Tropfen inmitten von Quarz, vielleicht aber auch viel mehr.

Anders als der Kristallquader, den ­Patricio Guzmán vor einem schwarzen Hintergrund gefilmt und so von allem isoliert hat, existiert Chile eben nicht in einem leeren Raum. Seine etwa 4300 Kilometer lange Küste verbindet das Land untrennbar mit dem Pazifischen Ozean. Eine stete Erinnerung an die Macht des Wassers, das bis zur Kolonisierung durch die Europäer das Leben der indigenen Bevölkerung geprägt hat. Erst die aus der alten Welt gekommenen Eroberer haben sich vom Meer abgewandt und so in gewisser Weise der Natur wie auch dem Leben an sich den Rücken zugekehrt.

Die Geschichte dieser Abkehr steht im Zentrum von Guzmáns Essayfilm »Der Perlmuttknopf«. Die Strömungen in den Fjorden Westpatagoniens, wo Hunderte kleinere und größere Inseln ein einzigartiges Archipel bilden, und die Brandung des Ozeans, die in den Zeiten der Diktatur die Leiche zumindest einer ermordeten Dissidentin an Land gespült hat, geben den Rhythmus der Bilder und Geschichten vor. Alles ist in Guzmáns Annäherung an sein Land und dessen von Blutströmen durchzogener Geschichte im Fluss. Die Erinnerungen der letzten Überlebenden der Wasservölker Westpatagoniens, die einstmals im Einklang mit dem Meer lebten, und die Biografien der Menschen, die den Terror der Diktatur überlebt haben, fließen in den poetisch-melancholischen Bildern des Films genauso zusammen wie Betrachtungen über das Weltall und Reflexionen über die Natur des Denkens.

Einmal heißt es, dass das menschliche Gehirn nach dem gleichen Prinzip wie das Meer funktioniert. Beide können sich an alles anpassen. Patricio Guzmán geht noch einen entscheidenden Schritt weiter. Sein Film gewordenes Denken und Assoziieren passt sich nicht einfach den Gegebenheiten an. Es nutzt vielmehr die Freiheiten des Wassers, um den Block Chile zugleich zu überschwemmen und zu unterspülen. Der Perlmuttknopf eines Angehörigen der Wasservölker verweist direkt auf den Knopf eines im Ozean versenkten Opfers der Diktatur. Der Genozid, der auf die Inbesitznahme Chiles durch die Europäer folgte, und der Terror der Pinochet-Jahre entspringen der gleichen Quelle. Und nur die fortwährende Erinnerung an das eine wie das andere Unrecht kann Bewegung in die Erstarrung bringen.

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