Kritik zu Der Junge, dem die Welt gehört
Gerade war er noch als Schauspieler unterwegs, in »Sterben«. Jetzt kommt Robert Gwisdeks mutiges Spielfilmdebüt ins Kino, das bei den Hofer Filmtagen 2023 den Preis für die beste Regie gewann
Es ist ein ungewöhnliches Duo, das da an einem lauen Abend in sein großes Haus zurückkommt, ein odd couple. Während der junge Basilio eher ruhig die Treppen und Emporen hochsteigt, wird er umtänzelt von einem kleinen Kobold in einer Ganzkörperunterwäsche, wie man sie vielleicht im 19. Jahrhundert getragen hat. Die Schwerkraft scheint ihm wenig auszumachen, er klettert die Treppen hoch wie im Flug, ohne dabei seinen lauten und aufdringlichen Redefluss zu bremsen. »Der Kosmos erwartet deine Poesie«, schreit er Basilio an, und selbst vor den Sternen macht er nicht halt. Wer ist dieser Kasimir, den man kurzerhand aus dem Fenster schubsen kann, damit er aufhört? Und der am nächsten Tag doch wieder da ist, wie die Kreaturen aus »Solaris«? Ein Alter Ego, eine Erscheinung, eine Projektion, ein Korrektiv, eine Art Über-Ich? Nun, dieses Rätsel wird der Film nie auflösen, und ob es ihn wirklich gibt, ist sowieso die Frage – aber ist nicht alles, das man auf der Leinwand sieht, erst einmal wirklich?
Basilio wird gespielt von dem Schweizer Musiker Julian Pollina, Kasimir von Denis Lavant, der ja aus jeder seiner Rollen ein Ereignis werden lässt. Bei aller Rätselhaftigkeit steht aber fest: Basilio hat ein Problem. Ihm fällt nichts ein, am großen Flügel, der in diesem wunderbaren italienischen Palazzo steht. Sein Auftrag bestehe darin, das Gespräch der Welt in Musik zu verwandeln, sagt die Off-Erzählerin (Corinna Harfouch) einmal. Aber er versteht kein einziges Wort, auch wenn die Welt doch ihm gehört.
Doch er ist auch bereit, etwas davon abzugeben, als er Karla (Chiara Höflich) kennenlernt, in einem Alimentari, als dessen Besitzer er sich ausgibt. Auch Karla hat ihre Erscheinungen, und irgendwie sind die Welten der beiden nur durch eine große Tür miteinander verbunden. Und vor allem: Sie kann Kasimir sehen. Einen »Liebesfilm für Verrückte« habe er machen wollen, hat Robert Gwisdek über sein Spielfilmdebüt gesagt, das mit seiner Leichtigkeit vieles in der Schwebe lässt.
Die Magie und Poesie des Films werden auch angetrieben von den gleitenden Fahrten der Kamera, die ihre Figuren in erlesenem Schwarz-Weiß (mit viel Mut zu Schwarz) verfolgt. Und von den Interieurs der riesigen sizilianischen Villa, deren Innenräume an das Labyrinth verwickelter Gedanken-gänge erinnern, inklusive einer Wendeltreppe, im Film ja oft Symbol eines psychischen Durcheinanders. Der Schauspieler (»Renn, wenn Du kannst«, »3 Tage in Quiberon«), Regisseur (von Kurzfilmen und Clips) und Musiker (als Käptn Peng) Robert Gwisdek hat sein Spielfilmdebüt mit einer kleinen Crew während der Pandemie in einem alten Palazzo in Sizilien gedreht, ohne jede Förderung. Dass bei den wenigen Straßenaufnahmen deshalb keine Menschen zu sehen sind, unterstreicht nur die Eindringlichkeit dieses introspektiven Kammerspiels.
Man kann vieles, gerade am Schluss, durchaus etwas manieriert finden. Was aber immer wieder kompensiert wird durch einen unaufdringlichen Witz, gerade in den Szenen im Alimentari. Und die stilistische Geschlossenheit macht »Der Junge, dem die Welt gehört« zum bisher ungewöhnlichsten und innovativsten Film dieses Jahres.
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