Kritik zu Der Dolmetscher

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Eine Reise in die Vergangenheit: Der slowakische Regisseur Martin Sulik schickt Peter Simonischek und Jíri Menzel auf die Spuren von Nazi-Verbrechen

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Er ist korrekt gekleidet, der ältere Herr, der seinen Weg durch Wien sucht. Als wäre er auf dem Weg zu einem Termin. Aber in der Tasche seines Regenmantels hat er eine Pistole. Und in seiner Aktentasche hat er ein Buch, die Erinnerungen des SS-Obersturmbannführers Graubner. An Graubners Tür in einem schönen alten Gründerzeitblock klingelt er nun. Aber die Tür öffnet ein älterer Herr, der unmöglich der SS-Mann sein kann. Sein Vater sei schon lange tot, sagt Georg Graubner, was er denn wolle. Der alte Graubner habe seine – jüdischen – Eltern umgebracht, sagt der korrekt gekleidete Slowake Ali Ungar. Sein Vater habe Tausende von Menschen umgebracht, entgegnet Georg nur, der kurz zuvor seiner osteuropäischen Haushaltshilfe den Po getätschelt hat.

Ali zieht unverrichteter Dinge ab (nicht ohne vorher ein Hakenkreuz in den Briefkasten geritzt zu haben), doch aus dieser Begegnung entwickelt sich eine Reise in die Vergangenheit: Georg engagiert Ungar, für 100 Euro am Tag, um mit ihm zu den Orten zu fahren, an denen sein Vater sich während des Krieges aufhielt. Die perfekte – wenn auch nicht ganz neue – Ausgangssituation für ein Buddy- und Road-Movie. Und Sulik setzt bei seinen Charakteren auf Gegensätze. Den Ali Ungar spielt der große tschechische Regisseur Jíri Menzel, der vielleicht wichtigste Exponent der tschechischen Neuen Welle in den sechziger Jahren, als eine zugeknöpfte Spaßbremse.

Dabei kultiviert Menzel einen wunderbar skeptischen Blick, mit dem er den Hedonismus von Georg gewissermaßen von der Seite betrachtet. Denn der, ein ehemaliger Lehrer, dreimal verheiratet, betrachtet die Reise, die für Ali Arbeit ist, Erinnerungsarbeit, durchaus auch als Urlaub. Georg schäkert mit jungen Frauen, trinkt auch mal einen zuviel und nimmt das Ganze zunächst nicht allzu ernst. Peter Simonischek variiert seine Toni-Erdmann-Figur, aber das hat durchaus seine Berechtigung, als ein Vertreter der Post-68er-Spassgeneration vielleicht.

Nun ist es ja nicht so, dass Georg nicht wüsste, was sein Vater getan hat. Aber die Rechnung, dass er als Kind eines Täters (der im Gefängnis gesessen hat) genauso gelitten hat wie das Kind eines Opfers, geht in diesem Film nicht auf. Es wird viel Auto gefahren in »Der Dolmetscher«, durch eine meist graue Landschaft, und es ist für alle Beteiligten ein schmerzhafter Prozess der Erinnerung – auch für die Slowaken, die sich am Holocaust bereichert haben. Wirklich neue Erkenntnisse fördern die Recherchen der beiden Senioren nicht zutage, aber zumindest Georg wird am Ende der Reise, so hat man den Eindruck, die Welt mit anderen Augen sehen. Man mag dem Film vorwerfen, dass er seine Geschichte um Schuld und Rache in durchaus konventionellen Bahnen erzählt. Aber gleichzeitig fasziniert die Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor, mit der Martin Sulik sein Thema angeht.

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