Kritik zu DeAD
Nach 29 Jahren tritt ein hasserfüllter Sohn zum ersten Mal seinem Vater entgegen. Sven Halfars stilisiertes Spielfilmdebüt bringt nicht nur die heile Fassade einer Vorzeigefamilie zum Einsturz
Eine Hand, die die Seiten eines alten Tagebuchs umblättert. Eine vergilbte Fotografie von einem Mann und einer Frau in einer Bar. Die in etwa dreißig Zentimeter Höhe über dem Boden baumelnden Füße und Schuhe einer Frau, die sich erhängt hat. Ein junger Mann, der sich heulend auf dem Boden krümmt. Schließlich ein alter amerikanischer Straßenkreuzer, ein rotes Cabrio, das perfekt zu der schwarzen Lederjacke und der gewaltigen Tolle seines Fahrers passt.
Wie leicht ließe sich diese Reihe von knappen Beschreibungen, von Skizzen des Gesehenen, fortsetzen. Natürlich erzählt Sven Halfar in seinem ersten Kinospielfilm auch eine Geschichte – und was für eine, von Hass und Wut und all den furchtbaren Dingen, die Menschen einander aus Liebe oder Egoismus antun. Doch zunächst sind es diese Bilder, die einen mit einer enormen Wucht treffen. Jede Einstellung gleicht tatsächlich einem Schlag. Und so prasseln die Eindrücke und Empfindungen nur so auf einen ein.
Gerade in den ersten Momenten des Films, in denen noch ganz offen ist, in welche Richtung sich die Erzählung entwickeln wird, erinnert DeAD an einen amerikanischen Hardboiled-Roman der 30er und 40er Jahre. Die Härte und Atemlosigkeit, die einem aus den kurzen, immer gleich ins Schwarze zielenden Sätzen dieser Romane entgegenschlägt, steckt auch in diesen Bildern und den Schnitten, die gleichsam wie Ausrufezeichen jeder einzelnen Einstellung noch einmal mehr Gewicht und Kraft verleihen.
Nach dem Selbstmord seiner Mutter kann Patrick (Tilman Strauß) den Zorn, den er seit seiner Kindheit in sich trägt, kaum noch unter Kontrolle halten. Nun muss er seinen Vater, der nichts von ihm weiß, unbedingt finden und kennenlernen. Eines Tages ist es so weit. Ausgerechnet an dessen 60. Geburtstag tauchen Patrick und sein bester Freund Elmer (Niklas Kohrt) bei dem Schuldirektor Reimund Borz (Thomas Schendel) auf. Nach kurzem Zögern lässt er die beiden Fremden in sein Haus. Warum sollte Patrick nicht sein Sohn sein. Schließlich hatte er ständig Affären.
Mit Patricks Eindringen in das trügerische Familienidyll, das sich Borz mit Frau und Tochter geschaffen hat, verändert sich nach und nach auch die Erzählung. Aus der extrem akzentuierten, jede Einstellung in eine Art filmisches Comic-Panel verwandelnden Hardboiled-Fantasie wird ein düsteres Kammerspiel. Wie einst die beiden Serienmörder in Michael Hanekes Funny Games verwandeln Patrick und Elmer ein perfektes großbürgerliches Heim in einen Ort des Schreckens.
Nur ist diese Übung in Terror, die neue Wunden schlägt und alte aufreißt, frei von jedem Zynismus. Das Entsetzen angesichts der Eskalation geht Hand in Hand mit einer tiefen Trauer. Alles, was an diesem Nachmittag und Abend geschieht, erwächst zwangsläufig aus den Verfehlungen eines Mannes, für den es immer nur seine eigenen Begierden gab. Doch Borz’ Selbstsucht alleine hätte nie diese bürgerliche Apokalypse auslösen können. Erst die Bereitschaft der anderen, sich benutzen und verletzen zu lassen, hat es überhaupt so weit kommen lassen. Kein Traumhaus ohne gebrochene Herzen.
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