Kritik zu Das Kapital im 21. Jahrhundert
Inspiriert von Thomas Piketty und dessen Forschung zur Ungleichheit im Kapitalismus montiert der Neuseeländer Justin Pemberton Thesen, Töne und Talking Heads zu einer anregenden, wenn auch nicht immer stringenten Geschichtscollage
Wachsende Ungleichheit und die Akkumulation von Macht und Vermögen bei den »one percent« sind spätestens seit der Finanzkrise von 2008 vielbeschworene Phänomene. Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty hat der allgemein gefühlten Statistik mit seinem 2014 erschienenen Buch »Das Kapital im 21. Jahrhundert« dann die wohlige Grundlage eines historisch-analytischen Zahlengerüsts verliehen. So historisch, dass es bis zu den Lebzeiten von Jesus zurückreichte, und so analytisch, dass selbst die ausführliche Lektüre von Pro- und Kontra-Argumenten den Leser ziemlich ratlos hinterlässt. Fazit: Die Ungleichheit nimmt zu, aber ob seit den Römern oder doch erst seit 2001 oder 2008 oder 2012, darüber lässt sich streiten. Das zumindest ist Pikettys Verdienst: Er hat die Debatte darüber befördert wie kein anderer.
Eine Verfilmung seiner Thesen scheint auch deshalb ein ehrbares Anliegen zu sein, weil die filmische Form zu einer Art Demokratisierung zwingt: Um als visuelles Essay verständlich zu sein, müssen Thesen illustriert, mit Aussagen von Talking Heads belegt und nicht zuletzt mit einem packenden Score versehen werden. So fasst jedenfalls der neuseeländische Filmemacher Justin Pemberton seine Aufgabe auf. Sein Film beginnt mit Piketty als redendem Kopf vor Bildern des sogenannten Mauerfalls. Piketty nämlich sieht sein Werk wesentlich inspiriert davon, wie nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftsformen der Kapitalismus als Alleinsieger dastand und sich ohne kritisches Gegengewicht in jenen »Turbokapitalismus« verwandelte, wie wir ihn heute kennen. Dieser Gedanke allein beinhaltet schon eine starke These – nahm der real existierende Sozialismus tatsächlich Einfluss auf die Märkte und Arbeitsverhältnisse im Kapitalismus? –, er wird aber leider sofort schon wieder fallengelassen. Wen interessiert schon die ökonomische Entwicklung in den postsozialistischen Staaten, wenn es doch ums große Ganze geht?
Mit viel Mut zur gedanklichen Abkürzung und passenden Soundbites diverser Wirtschaftshistoriker gibt Pemberton einen Aufriss der Kapitalismusgeschichte, der irgendwann im Feudalismus ansetzt und nach 100 Minuten irgendwo in der düsteren Zukunft endet. Schwer zu sagen, was davon hängen bleibt: Ungleichheit hat die Französische Revolution hervorgebracht – die Pemberton mit Bildern aus der Musical-Verfilmung »Les Miserables« illustriert –, Ungleichheit war der Grund, weshalb viele Europäer in die »Neue Welt« aufgebrochen sind, Ungleichheit führt zu überheblichem Verhalten, wie ein Experiment mit »Monopoly«-Spielern zweifelsfrei nachweist.
Als geschriebenes Essay oder selbst als Seminararbeit ginge Pembertons Film niemals durch. Zu wirr die Gedankenführung, zu unkritisch das Zitieren dubioser Quellen, zu pauschal das Urteil über komplexe sozialökonomische Entwicklungen. Aber was sollʼs, Hauptsache er befördert die Debatte. Fürs Richtigstellen ist heute sowieso Twitter da. »Les Miserables« spielt nicht zu Zeiten der Französischen Revolution, sondern des Juniaufstands 1832. Aber Ungleichheit war auch da ein Thema.
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