Kritik zu Das Kabinett des Dr. Parnassus

© Concorde Filmverleih

Die Phantasmagorie über einen faustischen Pakt und einen Zauberspiegel ist Heath Ledgers letzter Film – doch zunächst einmal ist es ein typischer Terry Gilliam

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Eine märchenhafte Geschichte, die Überwindung von Zeit und Raum durch die Macht der Fantasie, überbordende Bilder und skurrile bis bizarre Charaktere und Begebenheiten: Wir befinden uns unverkennbar im Kabinett des Dr. Gilliam. Und wieder einmal hat es die Realität dem Filmmagier schwer gemacht, stand sein Projekt zwischenzeitig vor dem Aus. Denn mitten in die Dreharbeiten fiel der tragische Tod von Hauptdarsteller Heath Ledger. Doch wieder einmal hat er es geschafft, den Film fertigzustellen. Leider muss man ein weiteres »Wieder einmal« anfügen: Wieder einmal hat sich Terry Gilliam in seinem Ideenlabyrinth ein wenig verlaufen.

Dies mag wiederum an der schwierigen Produktionsgeschichte liegen, doch den Verlust von Ledger hat Gilliam mit einem wagemutigen – und gelungenen – Schritt kompensiert. Mit Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell ersetzen ihn gleich drei andere Stars. Da viele Szenen des Films in einer fantastischen Welt spielen und die meisten der Szenen in der »realen« Welt des Films bereits abgedreht waren, erscheinen diese nun als Traumwelt-Alter-Egos der Ledger-Figur. Und das tun sie in bewusst theatralischer und innerhalb der Traumwelt stimmiger Überformung von Gestik und Mimik Ledgers.

Jene fantastische Welt kann man durch einen Zauberspiegel betreten, die Hauptattraktion des 1.000 Jahre alten Magiers Dr. Parnassus, den Christopher Plummer in ergrauter Würde verkörpert. Mit seinem klapprigen Varieté-Wagen, seiner Tochter Valentina und zwei Angestellten reist der wenig erfolgreiche Schausteller durch England – eine reizvolle ästhetische Kollision von Jetztzeit und viktorianischem Ramschladen. Unheil naht in Gestalt des finsteren Mr. Nick, der kein geringerer als der leibhaftige Teufel ist. Der großartige Tom Waits spielt ihn, und man sieht ihm in jeder Minute seinen Genuss an dieser Rolle an. Parnassus hat vor langer Zeit einen faustischen Pakt mit ihm geschlossen und ihm seine nichts ahnende Tochter versprochen, sobald sie 16 Jahre alt ist. Doch der Teufel ist ein passionierter Spieler, und eine Wette mit ihm gibt Parnassus die Möglichkeit, sie zu retten: Wer zuerst fünf Seelen gewinnt, dem wird sie gehören. Unterstützung bietet ein geheimnisvoller Fremder ohne Gedächtnis, in den sich Valentina verliebt. Wie auch viele spätere Details des Films löst die erste Szene Heath Ledgers unweigerlich Assoziationen zu seinem realen Tod aus: Er baumelt an einem Strick unter einer Londoner Brücke.

Der folgende Wettlauf der Seelenfänger, der als Plot eine gute Portion Spannung verspricht, enttäuscht leider genau in dieser Hinsicht. Überladen mit Handlungssträngen, Themen und opulenten Bildern geht die Erzählung in die Knie. Wie bei den vorangegangenen Werken Brothers Grimm und Tideland mangelt es nicht nur an Rhythmus, man wartet auch vergeblich darauf, dass hier irgendein Motiv stringent auf den Punkt gebracht wird. Also besser gar nicht warten, sondern die Bilderflut genießen! Denn Vergnügen bereitet der Film dennoch, und nicht nur den ganz eingefleischten Gilliam-Fans. Er entschädigt mit lustvollem Schauspiel, satirischen Seitenhieben auf eine konsumkranke Welt und bizarren Ausflügen hinter den Spiegel. Was viele an letzteren kritisieren, nämlich ihre bisweilen deutlich herausgestellte CGI-Künstlichkeit, ist in sich völlig schlüssig. Denn das Prinzip lautet: Die Welt, die du durch den Spiegel betrittst, sieht so aus wie die Welt in deinem Kopf. Also kann es schon mal passieren, dass ein kleiner Junge in einem Plastik- Disneyland landet oder eine reiche Dame in einer Welt voll gigantischer Schuhe. In mindestens einer jener Szenen erreicht Gilliam sogar die höchsten und erfrischendsten Regionen des Wahnwitzes, die er mit Monty Python so eingehend erforscht hat. Und vielleicht wäre »Das Kabinett des Doktor Parnassus« mit einer stärkeren Hinwendung zu solch frei flottierender Psychedelik zu einem begeisternden Film geworden.

Der alte Magier Gilliam jedenfalls ist bereits weitergezogen und startet nun einen neuen Versuch, »Don Quichotte« zu verfilmen. Vielleicht gelingt ihm ja damit mal wieder ein großer Wurf. Man kann es diesem unbeirrbaren Streiter für den Zauber des Kinos nur wünschen.

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