Kritik zu Dann gehste eben nach Parchim
Dem Dokumentarfilmer Dieter Schumann gelingt ein Blick hinter die Kulissen des Jungen Staatstheaters Parchim, bei dem er zwei Schauspielerinnen in den Mittelpunkt stellt, aber nie das große Ganze aus den Augen verliert
»Das Leben ist voller Fragen, Idioten sind voller Antworten. Sokrates 469 bis 399 v. Chr.«, heißt es auf einem Banner an der Front des Jungen Staatstheaters Parchim im dortigen Stadtzentrum. Direkt unter dem Zitat steht eines Tages ein Stand, der mit einem großen Schild »Für Volk und Heimat« und für die NPD wirbt. Die Männer dort scheinen ihren Standort vor dem Kulturort als Provokation smart zu finden und die selbst gewählte hintergründige Anspielung nicht zu verstehen. Im Theater möchte eine junge Mitarbeiterin gegen den rechten Auftritt einschreiten, lässt sich aber von erfahreneren Menschen zu klügerem Nichtstun belehren.
Der kleine Einblick in den Alltag in »MeckPomm« ist eine Episode im neuen Dokumentarfilm von Dieter Schumann, der um dieses besondere Provinztheater kreist, das 1945 gegründet wurde und 2016 mit dem Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin fusioniert wurde. Im Zentrum stehen die beiden jungen Schauspielerinnen Arikia Orbán und Gesa Penthin, die zu Beginn des Films im Zug aus Hamburg nach Parchim anreisen, um dort ihr erstes festes Engagement zu starten. Für ihr »Zwo-eins brutto«-Anfangsgehalt bekommen sie in der Kleinstadt südöstlich von Schwerin eine richtig schöne Wohnung mit großem Balkon. So können sie erstmals in ihrem Leben ohne Nebenjob nur spielen – und Schulden abzahlen. Doch Arikia schleppt ein Paket seelischer Probleme aus ihrer Vergangenheit mit. Und obwohl beide gut ankommen und angenommen werden, nagen im Spielbetrieb auch Selbstzweifel an ihnen. Dann kommt Corona. Und Gesa beginnt vorsichtshalber ein Fernstudium der Umweltwissenschaft.
Das Arbeitsklima ist familiär und professionell in dem verwinkelten Haus, das wegen sicherheitsgefährdender Baumängel zum Filmende geschlossen wird. Doch das Theater soll in einem alten Industriekomplex, der für 40 Millionen Euro neu errichteten Kulturmühle Parchim, neu erstehen. Requisiteur Björn freut sich auf den Neubau mit funktionaler Innenarchitektur und schönen Ausblicken. Der sympathische Allrounder spielt mit dem ebenfalls multitalentierten Schauspieler Julian die zwei wichtigsten Support-Rollen des Films und auch – von der Bühne selbst – die Musik, die ihn musikalisch rahmen und subtil begleiten wird.
Regisseur Dieter Schumann brachte 1987 mit seinem Dokumentarfilm »Flüstern & Schreie« die DDR-Rockszene in die weite Welt und zuletzt mit dem Bayerischen Wald in »Lene und die Geister des Waldes« Kindern die Ökologie nahe. Doch dazwischen hat sich der in Ludwigslust geborene Filmemacher mit vielen regional geerdeten Dokumentarfilmen wie »Wadans Welt« und filmpolitischem Engagement als Heimatfilmer im besten Sinn bewiesen. So findet er auch hier das richtige Händchen und die Zeit, um zwischen den Proben zu einer »Nibelungen«-Variante, Kindertheater und »Antigone« seinen Heldinnen näherzukommen, ohne den Blick auf das Gesamtgefüge zu verlieren. Und zu zeigen, dass Kultur kein Luxusgut, sondern unverzichtbarer Teil eines lebendigen Stadtlebens sein sollte.
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