Kritik zu Cicero – Zwei Leben, eine Bühne
Ein Dokumentarfilm über zwei große Musiker, Eugen und Roger Cicero, Vater und Sohn, die bei allen Differenzen tiefe Seelenverwandte waren – und beide viel zu früh starben
Wenn Roger Cicero, allein am Klavier, in dämmrig-blauem Licht ganz nah an der Kamera den Abschiedssong für seinen Vater Eugen intoniert und mit leicht belegter Stimme singt »Ich hätt' so gern noch Tschüss gesagt, noch einen letzten Song mit dir gemacht«, dann sind auch wir den Tränen nah. Vater und Sohn, beides Musiker mit sehr hohen Ansprüchen, standen sich bei allen Differenzen sehr nahe. Der Vater war ein Ausnahmepianist, der mit den Großen der Welt zusammenspielte, mit Ella Fitzgerald oder Shirley Bassey, dabei gut verdiente, selbst aber nicht die gewünschte Popularität erlangte. Er setzte alle Hoffnungen in seinen Sohn Roger und sagte ihm einmal: »Was soll das Gesinge, du brauchst ein Instrument, die Stimme ist immer nur Beiwerk.« Trotzdem war es gerade der virtuose Gesang, der Roger Cicero berühmt machte. Und noch etwas teilten sich beide. Sie starben viel zu früh an derselben Krankheit, Eugen mit 57 und Roger schon mit 46, beide an einem Hirninfarkt.
Dieser Film leistet etwas ganz erstaunliches. Wer bislang – wie der Autor dieser Zeilen – Roger Cicero für eine recht beliebige Größe aus dem deutschen Schlagerbecken hielt, oder lediglich einen der vielen Verlierer des Eurovision-Songcontests in ihm sah, musikalisch zwischen Big-Band Sound und Jazz und eher von gestern, für den ist dieser Film im wahrsten Sinne ein Augenöffner. Er stellt seine ironischen Texte heraus, zeigt seine enorme Bühnenpräsenz und sein wirklich großartiges Gesangsvermögen. Man erfährt, dass er in Erinnerung an Frank Sinatra »Schieß mich auf den Mond« sang und Stücke von Nick Drake coverte. In Musikerkreisen genoss er neidlose Anerkennung auch aufgrund der großen Ernsthaftigkeit, mit der er sein Geschäft betrieb. Obwohl er selbst kaum zu Wort kommt in dieser Dokumentation, hat man als Zuschauer hinterher ein sehr warmes Gefühl für ihn.
Bei aller gebotenen Sachlichkeit spart der Film nicht mit Emotionen. Er kontrastiert die beiden Musiker in ihrem Schaffen, zeigt aber auch die persönliche Seite, ihre enge Vater-Sohn-Beziehung. Die wenigen Szenen, in denen sie miteinander musizieren, bleiben im Gedächtnis. Und wenn Roger dann fortfährt in seinem Abschiedslied für den Vater: »Vier Hände voll Jazz am Klavier, Ich hätt' dich gern in'n Arm genommen«, dann ist das keine Pose.
In seinem Spielfilm über Hildegard Knef war Regisseur Kai Wessel ähnlich emotional, aber da inszenierte er das Leben für die Leinwand. Hier, wie es die ungeschriebenen Gesetze des Dokumentarfilms verlangen, hält er sich zurück. Ohne jeden Kommentar baut er die Lebensgeschichte der Ciceros aus den vielen Statements und Erzählungen, die er international eingesammelt hat, zusammen, kommt aber erstaunlicherweise zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Nähe, die er zwischen dem Objekt seiner Darstellung und dem Zuschauer herstellt, ist gewollt, wirkt aber ganz natürlich. Das ist die große Leistung dieses Films, in dem wenig passiert, aber alles möglich ist.
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