Kritik zu Chico & Rita

© Kool

Man darf munter spekulieren, weshalb dieser Film bei der diesjährigen Oscarverleihung leer ausging: War der furiose Animations- und Musikfilm vielleicht einen Hauch zu antiamerikanisch und erwachsen für das US-Publikum?

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Wahrscheinlich ist unser Blick auf Animationsfilme doch eine Spur großzügiger. Wir vertrauen uns dem Staunen an; unsere Ansprüche an die Vielschichtigkeit des Drehbuchs und der Figurenzeichnung treten wohlwollend dahinter zurück. Wäre Chico & Rita als Realfilm ein ebenso fulminantes Erlebnis? Wäre das titelstiftende Liebespaar ebenso berückend, wenn es von Schauspielern verkörpert würde?

Gleichviel, es gibt keinen Grund, zu bedauern, dass der spanische Regisseur Fernando Trueba sich zum ersten Mal der Herausforderung des Trickfilms gestellt hat. Die Nachkriegszeit, in der die Handlung ihren Anfang nimmt, war eine Blütezeit neuer grafischer Ausdrucksformen, Werbung und Leuchtreklamen veränderten das Antlitz der Städte. Es herrscht eine doppelbödige Arglosigkeit in den Tableaus, die Trueba gemeinsam mit dem Designer Javier Mariscal entworfen hat, die Animation mutet beschaulich an. Die gezeichneten Figuren besitzen eine Unschuld, deren Verlust umso mehr schmerzt. Das Flair von Traum und Entrücktsein verträgt sich gut mit Truebas Erzählgestus schwelgerisch-bekümmerter Nostalgie. Im Animationsfilm ist das Verhältnis zwischen Figuren und Hintergrund überdies wundersamer, auch brüchiger. Das passt gut zu einer Geschichte um die Lockung der Ferne und das Festhalten an Wurzeln.

Der Film ist als wehmütige Rückblende angelegt. Der gealterte Chico, der sein Leben im Havanna der Gegenwart als Schuhputzer bestreiten muss, hört im Radio eine Melodie, die er einst für seine große Liebe Rita komponiert hat. Bei ihrer Begegnung war er ein talentierter Pianist, der auf den Durchbruch hoffte, und sie eine temperamentvolle Tänzerin und Sängerin.  Liebe, Wankelmut und Stolz werden sie im Laufe der Jahre immer wieder zusammenführen und voneinander trennen. Während sie in New York, Hollywood und Las Vegas Karriere macht, arbeitet er als Begleiter von Dizzy Gillespie, Ben Webster und Tito Puente. Als Chico nach Kuba abgeschoben wird, hat dort die Revolution gesiegt, und seine Musik wird imperialistisch gescholten. Er scheint die Hoffnung aufgeben zu müssen, Rita je wiederzusehen.

Die Liebesgeschichte ist ein hinreißender Anlass, eine Chronik der Verschmelzung lateinamerikanische Rhythmen mit Bebop und Swing zu erzählen. Liebevoll akribisch versenkt sich der Blick in die mythischen Orte (»Tropicana Club«, »Village Vanguard«), an denen sich diese Fusion vollzog. Die Hell-dunkel- Kontraste erinnern an die Lichtdramaturgie des Film noir und an die atmosphärische Jazzfotografie; Musik und Bewegung gehen eine anmutige Verbindung ein. Die Mischung von fiktiven und realen Charakteren lässt den Film zu einem musikalischen Gipfeltreffen werden: Nat King Coles Stimme wird von seinem Bruder Freddy gedoubelt, Jimmy Heath ahmt den Klang von Charlie Parkers Altsaxofon nach, der große Bebo Valdés (dem der Film gewidmet ist) leiht Chicos Klavierspiel seinen leichten, flüssigen Anschlag. Eine unbeschwerte Zeitreise ist Chico & Rita indes nicht: Trueba und Mariscal verschweigen nicht, dass die Yankees Kuba als exotisches Bordell betrachteten, und konfrontieren ihr Liebespaar in den USA mit weiteren Spielarten des Rassismus.

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