Kritik zu Chichinette – Wie ich zufällig Spionin wurde
Als »Chichinette«, kleine Nervensäge, ist Marthe Hoffnung Cohn in die Annalen des französischen Widerstands eingegangen
Ihren Spitznamen verdankt Marthe Hoffnung unter anderem der Hartnäckigkeit, mit der ihr in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs die Aufnahme in die französische Armee gelang. Nicht nur wegen ihrer Körpergröße war ihr das zunächst verweigert worden, sondern auch wegen eben der gefälschten Dokumente, die ihr und ihrer jüdischen Familie aus Metz zuvor ermöglicht hatten, sich vor den deutschen Besatzern in die »Freie Zone« in Südfrankreich zu retten. Als Mitglied des französischen Militärgeheimdienstes wurde Marthe dann über die Schweiz in Deutschland eingeschleust, wo sie, getarnt als Krankenschwester, die Stimmung in der deutschen Zivilbevölkerung erkunden sollte. Von einem deutschen Offizier erfuhr sie von einem Hinterhalt der Wehrmacht im Schwarzwald, den die alliierten Truppen daraufhin umgehen und damit den Tod vieler Soldaten vermeiden konnten.
Für ihre gefährliche Mission wurde Marthe Cohn mit dem höchsten französischen Militärorden geehrt. Jahrzehntelang hatte sie nach dem Krieg als Assistentin ihres Mannes Major Cohn, eines Neurowissenschaftlers, gearbeitet und ihre Geschichte für sich behalten: die Geschichte von ihrem Bräutigam, der von den Deutschen exekutiert wurde, ihrer Schwester Stéphanie, die als Fluchthelferin verhaftet und vermutlich in einem Vernichtungslager ermordet wurde. Und die von den vielen Juden, die mit ihrer Hilfe in die »Freie Zone« entkommen konnten. Erst als Steven Spielbergs »Shoah Foundation« Anfang der 90er Jahre Zeitzeugen suchte, entschloss sich Marthe Cohn zu sprechen. Im Jahr 2002 veröffentlichte sie ihre Erinnerungen (dt.: »Im Land des Feindes«, 2018 bei Schöffling erschienen). Ihre Memoiren machten Marthe Cohn zum Medienstar. Auch im hohen Alter ungeduldig und umtriebig, sieht sich Marthe Cohn als Botschafterin der Humanität. Ihre Mahnung richtet sich vor allem an die Jugend: »Engagiert euch, tut nichts gegen euer Gewissen!«
Nicola Alice Hens hat das Ehepaar Cohn auf einigen seiner Reisen begleitet, die Martha Cohn von ihrem Wohnsitz bei Los Angeles auch an die Stätten ihrer Jugend führten, nach Metz, wo sie als Mädchen davon träumte, »ein einfaches, angenehmes Leben zu führen«, nach Südfrankreich und schließlich nach Freiburg. Im Mittelpunkt des Films stehen weniger die Bilder, die eher assoziativ aneinander gereiht sind, hin und wieder unterbrochen von kurzen comicartig animierten Sequenzen, deren Bedeutung sich nicht recht erschließt. Im Mittelpunkt steht die unglaubliche Geschichte der Marthe Cohn, von ihr selbst oft aus dem Off, vor Publikum oder direkt in die Kamera erzählt. Gerne hätte man noch mehr von ihr gehört, doch verschenkt Nicola Alice Hens einige Zeit, wenn sie die Cohns allzu ausführlich bei allerlei alltäglichen Aktivitäten zeigt.
Warum so wenig Frauennamen auf den Denkmälern für die Résistance stehen, fragt ein Zuhörer nach einem Vortrag: »A ›memorial to the dead‹ can't have my name. After all, I'm not dead!«, sagt Marthe Cohn schmunzelnd. Am 13. April wird sie 100 Jahre alt.
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