Kritik zu Cartel Land
In seiner Dokumentation rückt Matthew Heineman fast zu hautnah in die Frontlinien des amerikanischen wie des mexikanischen Kriegs gegen die Drogenkartelle vor
Es ist eine Nacht wie viele andere in Michoacán im Süden Mexikos. Eine Gruppe schwer bewaffneter Autodefensas hat eine Straßensperre im Nirgendwo errichtet. Sie haben es auf Mitglieder der Caballeros Templarios, eines Kartells, abgesehen. Schließlich stoppen sie ein Auto und bedrängen dessen Fahrer. Irgendwann nimmt José Manuel Mireles, einer der führenden Köpfe der Autodefensas-Bewegung, einen seiner Männer beiseite und gibt ihm eine ebenso klare wie erschreckende Anweisung. Er soll so viel wie möglich aus dem Gefangenen herausbekommen und ihn danach verscharren.
Die ganze Zeit über ist der US-amerikanische Filmemacher Matthew Heineman mit dabei. Seine Kamera zeichnet auch diesen Befehl zum Mord mit auf. Das ist der Moment, in dem etwas zerbricht. Der Blick auf Mireles, den charismatischen Arzt und Ranchbesitzer, der sich den im Februar 2013 ins Leben gerufenen Autodefensas früh angeschlossen hat und schon bald zu ihrem Sprecher aufgestiegen ist, verändert sich.
Vor dieser Nacht verkörperten Mireles und die Bürgerwehr in Heinemans Dokumentation »Cartel Land« tatsächlich die vielleicht letzte Hoffnung Mexikos im Kampf gegen die Drogenkartelle. Natürlich haben die Autodefensas als Bürgerwehr von Anfang an eine Grundsäule der Demokratie, das Gewaltmonopol des Staates, zerbrochen. Doch nach Jahren der Kämpfe, die immer mehr zivile Opfer gefordert haben, hatte dieser Schritt etwas Revolutionäres. In einem Land, in dem alle Polizei- und Militärorgane mehr oder weniger stark in den Drogenhandel verstrickt sind, gleicht diese Form von Selbstjustiz durchaus einem demokratischen Akt, zumindest solange die Bürgerwehr die festgesetzten Kartellmitglieder den staatlichen Organen übergibt. In dem Augenblick, in dem Mireles mit dieser Praxis bricht, verliert seine Bewegung ihre moralische Legitimation. Aber letztlich – und auch das zeigt Heineman sehr eindringlich – musste es wohl so weit kommen.
Auch auf der anderen Seite der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten patrouillieren selbst ernannte Gesetzeshüter. Aber diese paramilitärischen Milizen, denen sich Männer wie der Exsoldat und Exjunkie Tim Foley angeschlossen haben, haben eine ganz andere Agenda. Sie reden zwar auch davon, dass sie die Bürger vor den Kartellen schützen wollen. Doch in Wahrheit treibt diese marginalisierten Weißen eine irrationale Paranoia an. Auch wenn Foley mehrmals beteuert, dass es ihnen um die Kartelle geht, sind ihr Ziel doch die illegalen Einwanderer, die heimlich über die Grenze in den Norden kommen.
Heineman, der mehr als einmal in lebensgefährliche Situationen gerät, ist so nah an den US-Milizen und den mexikanischen Autodefensas dran, dass Grenzen verwischen. Er scheint einer von ihnen zu sein. Damit bewegt er sich in einer Grauzone. Ist er nun Beobachter oder doch schon Komplize, wenn er Mordbefehle und Folterszenen filmt? Die Antwort auf diese Frage bleibt letztlich offen. Aber genau in dieser Ambivalenz offenbart sich die alles zersetzende Realität des sogenannten »War on Drugs«. Er zerstört am Ende jeden, egal auf welcher Seite er steht.
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