Kritik zu Carmine Street Guitars
Die Zielgruppe dieses Dokumentarfilms ist extrem klein, der Inhalt sehr speziell, der Ort extrem begrenzt und der Protagonist nahezu unbekannt. Und doch spiegelt sich darin die ganze Welt
Carmine Street Guitars ist eine kleine Gitarrenmanufaktur im New Yorker Greenwich Village. Seit über vierzig Jahren stellt Rick Kelly hier Gitarren her, zusammen mit einer Auszubildenden, Cindy Hulej, und seiner Mutter, die die Ausstellungsstücke behutsam abstaubt und sich bemüht, hier und da das Telefon zu bedienen. Cindy hat auch im fünften Jahr ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen, es scheint, als gehöre die Kunststudentin zum Inventar.
Fünf Tage hat der kanadische Filmemacher Ron Mann, unter anderem der filmische Biograf von Robert Altmann, in diesem Gitarrenladen verbracht und sich mit der Kamera umgeschaut, mal die Mutter, mal Cindy, immer wieder aber Rick Kelly ins Bild gesetzt und sich Geschichten über Gitarren erzählen lassen.
Denn diese Gitarren sind besonders. Sie liegen weich und widerstandslos in der Hand, der Hals ist per Hand gearbeitet und den Saiten wie ein Bett: Das beste aber ist der Korpus, denn der erzählt eine Geschichte. Bei E-Gitarren spielt es kaum eine Rolle, aus welchem Holz der Korpus ist, welche Form oder Farbe er hat oder wie er lackiert wurde. Aus dieser Beliebigkeit hat Rick Kelly eine Kunst gemacht. Seine Gitarren sind aus Abfallholz, das er in den Straßen New Yorks sammelt, auf Baustellen von Kirchen, Hotels oder alten Wohnhäusern mitnimmt oder sich schenken lässt. Wenn er den Korpus einer Gitarre daraus sägt, versucht er, die Spuren der Vergangenheit zu erhalten. Das biergetränkte Holz aus der ältesten Kneipe New Yorks zum Beispiel, die für sich wirbt mit dem Slogan »We were there before you were born«, zeigt diese Patina. So wird jede Gitarre zu einem Einzelstück und darf ein paar Tage in dem kleinen Schaufenster verbringen. Unter dem Hashtag »Guitarporn« stellt Cindy sie bei Instagram ein, denn Rick hat weder Smartphone noch einen Internetzugang. Wenn man ihn googelt, findet man diesen Film.
Ein Baum wird ein Tresen, so sagt Rick, und darf dann als Gitarre ein zweites Mal Karriere machen. Aber sind diese Gitarren, die äußerlich den glanzvollen Modellen von Fender und Gibson in nichts nachstehen, auch spielbar? Das belegt die prominente Reihe von Gitarristen, die mehr oder minder zufällig innerhalb dieser fünf Tage im Laden auftauchen, spielen und sich in ein Instrument verlieben. Ganz intim und unprätentiös sind Bill Frisell, Jamie Hince (The Kills), Lenny Kaye (Patty Smith Group) Charlie Sexton (Bob Dylan Band), Kirk Douglas (The Roots), Travis Good (The Sadies) und nicht zuletzt Jim Jarmusch, den der Abspann als Initiator nennt.
Dieser Film, der dem 2017 verstorbenen Jonathan Demme gewidmet ist, ist ein Kleinod der Filmkunst und ein Muss für jeden, der auf der Gitarre schon mal mehr gespielt hat als die drei Akkorde, die jeder kann.
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