Kritik zu Bestiaire
Tiere sehen dich an – oder auch nicht. Der Dokumentarfilm von Denis Côté rückt die Bewohner des »Parc Safari« in Quebec eher beiläufig ins Bild
Denis Côté, dieses Jahr im Wettbewerb der Berlinale mit Vic+Flo ont vu un ours vertreten, hat zuvor diesen Dokumentarfilm realisiert, der sich durch seine Verweigerungshaltung auszeichnet: Die Szenen fügen sich nicht zu einer Geschichte, auch nicht zu einer Aussage – obwohl manche Zuschauer möglicherweise eine solche herauslesen. So mag derjenige, der generell gegen die Haltung von Tieren in Zoos eingestellt ist, eine Bestätigung finden, wenn immer wieder die Gitter der Gehege ins Bild geraten oder wenn die vorherrschende Ruhe des Films von den lauten Geräuschen abgelöst wird, die entstehen, wenn Tiere mit ihren Füßen gegen die Begrenzungen ihrer Behausungen treten.
Côté lädt sein Sujet nicht mit Dramatik auf – es gibt in diesem Film keine Musik, die wenigen Dialoge sind konsequenterweise auch nicht untertitelt. Nach einem Prolog mit konzentriert blickenden jungen Leuten, bei denen erst nach einiger Zeit klar wird, dass sie Zeichnungen von einem (ausgestopften) Tier anfertigen, zeigt der Film ausschließlich Tiere, erst nach einem Drittel seiner Laufzeit kommt dann wieder ein – im Zoo arbeitender – Mensch ins Bild.
Nach zwei Dritteln der Laufzeit wechselt der Film von Winter- zu Sommerbildern. Eine Totale zeigt zunächst nur eine Wiese, auf der erst einen Moment später Tiere erscheinen, die sie als Teil eines Außengeheges kenntlich macht. Im letzten Viertel verändert sich dann erneut der Ton: Der bis dahin verhaltene Geräuschpegel steigt an, jetzt ist der »Parc Safari« für das Publikum geöffnet, Besucher kommen ins Bild, Kinder streicheln zwischen ihnen herumspazierende Rehkitze, während sich eine Autokolonne nur im Schritttempo vorwärtsbewegt.
Die Welten von Tieren und Menschen bleiben eher getrennt in Côtés Film, der sich auch als Gegenentwurf begreifen lässt zu all den »putzigen« Tiervideos, die im Internet auf Youtube kursieren und mit denen Tiere uns nahegebracht werden. Er gibt dem Zuschauer allerdings auch nicht jene Informationen an die Hand, die die klassischen Naturfilmeund speziell deren zeitgenössische Varianten, die mittels hochentwickelter Technologien wie Nachtsichtkameras ganz nah an die Tiere in freier Wildbahn herankommen, bieten.
Die Fremdheit zwischen Zuschauer und Tieren akzentuiert der Film auch durch seine Inszenierung, die den Eindruck erweckt, als würden die Tiere eher zufällig vor seine Kamera geraten. Nie unternimmt die Kamera den Versuch, ihnen durch Bewegungen oder Aufzoomen zu folgen, oft sind sie nur angeschnitten im Bild zu sehen, ebenso vergehen öfters Momente, bevor sie überhaupt ins Bild kommen. Aber ist diese scheinbare Absichtslosigkeit nicht vielmehr Ausdruck einer filmischen Strategie, die darauf hinausläuft, die Imagination des Zuschauers freizusetzen? Côté jedenfalls hat in einem Interview konstatiert: »Der Dokumentarfilm existiert nicht, außer vielleicht bei Überwachungskameras im Supermarkt. Ansonsten steckt hinter all dem, was man Dokumentarfilm nennt, ein Regisseur, der Entscheidungen trifft, ein Cutter, der den Rhythmus bestimmt, und ein Tonmeister.«
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