Kritik zu Berlin Alexanderplatz
Fünf Deutsche Filmpreise: Burhan Qurbani hat nach einem Drehbuch von Martin Behnke Alfred Döblins Großstadtroman »Berlin Alexanderplatz« mit viel Drive neu verfilmt
Rote Signallampen zucken über das dunkle Meer. Alles ist rot, der Himmel, das Wasser, eine schemenhafte Atmosphäre. Francis (Welket Bungué) versucht seine Freundin Ida zu retten, doch es gelingt ihm nicht. Immer wieder tauchen Bilder der im roten Wasser versinkenden Ida in dem dreistündigen Film von Burhan Qurbani auf. Qurbani hat den Roman von Alfred Döblin neu adaptiert, ein mutiges Unterfangen angesichts der großen Fußstapfen eines Rainer Werner Fassbinder, der den Roman als 15-stündige Fernsehserie 1979/80 verfilmte.
Aber so werkgetreu, wie es noch Fassbinder versuchte, will diese Neuverfilmung gar nicht sein; mutig haben Qurbani und sein Drehbuchautor Martin Behnke die Geschichte in das Berlin von heute verlegt und sich an den wesentlichen Figuren und Motiven des Romans orientiert. Ida zum Beispiel ist auch im Roman der Auslöser für den Vorsatz des Helden, fortan gut zu sein. Was ihm, wie wir wissen, nicht gelingt. Francis, den dunkelhäutigen Flüchtling aus Bissau, den wir am Anfang im Meer gesehen haben, verschlägt es nach Berlin, zuerst versucht er sich als Bauarbeiter, ist aber als Illegaler vor einem Rauswurf nicht sicher. In seiner Unterkunft lernt er Reinhold kennen, der für seine Geschäfte unter den Illegalen Straßendealer requiriert. Dieser Reinhold, dargestellt von Albrecht Schuch, ist das heimliche Kraftzentrum des Films, ein mephistophelischer Versucher, der Francis immer mehr in seine Kreise zieht und an sich bindet. Und Reinhold erstarkt im Laufe des Films; er ist einer, der die Menschen ausnutzt, auspresst und ausbeutet – irgendwie auch ein Symbol für den ungehemmten Kapitalismus. Aber es entsteht eine seltsame Freundschaft zwischen den beiden. Reinhold führt Francis in die Welt des Berliner Drogenuntergrunds ein. Und Reinhold ist es auch, der Francis – in einer der vielen surrealen Szenen dieses Films – regelrecht tauft: Mit zwei Prostituierten im Schlepptau und einer Flasche Sekt nennt er ihn nun in »Franz« um.
Irgendwann steigt Francis ins Geschäft ein, das eigentlich dem Gangster Pums gehört. »Neue Welt« heißt einer der Clubs, in dem sie sich mit Pums treffen, den Joachim Król als jovialen Anzugtyp spielt. Francis macht einen kometenhaften Aufstieg in der Szene, beteiligt sich auch an Überfällen, die Pums neben den Drogengeschäften unternimmt. Vielleicht ist Francis naiv, aber er ist vor allem erpressbar, will er doch eigentlich einen deutschen Pass. Und zeitweilig sieht es so aus, als habe er es geschafft. In einer der größten Szenen des Films steht er vor den anderen Illegalen in seiner Unterkunft und sagt, dass er teure Kleidung trage, ein deutsches Auto fahre und eine deutsche Frau habe: »Ich bin der deutsche Traum!« Franz denkt auch nicht um, als er seinen Arm verliert, sondern erst, als er Mieze kennenlernt, seine große Liebe, ein Callgirl, das von ihm schwanger wird.
Mieze ist es, die Passagen aus dem Roman aus dem Off spricht – eine Stimme aus dem Totenreich. Denn wir wissen aus dem Roman, wie es ihr am Ende ergehen wird. Man kann diese Neuverfilmung auch als Reflexion über die von Männern an den Frauen ausgeübte Gewalt sehen. Auf alle Fälle ist die Beziehung zwischen Mieze die einzig aufrichtige, ein Traum von Liebe, der aber nicht lange währt.
Der neue »Berlin Alexanderplatz« hat nichts mehr von der Gestelztheit und Bedeutungsschwere von Fassbinders Opus Magnum. Nur drei Filme hat der deutsch-afghanische Regisseur Qurbani gedreht. Sein zweiter, »Wir sind jung. Wir sind stark« (2015), den er schon zusammen mit dem Autor Martin Behnke schrieb, ist der beste deutsche Film zum Thema junger Rechtsradikalismus. Mit »Berlin Alexanderplatz« haben die beiden noch mal eins draufgelegt. Der über dreistündige Film entwickelt einen hypnotischen Sog, so dass man seine Länge überhaupt nicht merkt. Und Kameramann Yoshi Heimrath hat ihn nicht in den entsättigten Farben gedreht, die sonst im neuen deutschen Film so üblich sind, sondern in einem knallbunten Look, der vielleicht auch stehen soll für eine Vorstellung von Deutschland. »Berlin Alexanderplatz« besitzt eine Wucht, die man selten gesehen hat im deutschen Film der letzten Jahrzehnte. Es ist ein atemberaubender Trip durch die Unterwelt Berlins, ein Gangsterepos, das getragen wird von seinen hervorragenden Hauptdarstellern.
Kommentare
Unwucht
Das ist ein mutiger Versuch, Döblins Buch ins 21. Jahrhundert zu heben und ein durchaus sehenswerter Film, aber für mich ist er mindestens eine halbe Stunde zu lang und wird zum Ende hin repetitiv und ermüdend. Für mich war da wenig "Wucht" und "Sog" zu verspüren. ... Aber schön, wenn es anderen anderes geht, und jeder sollte sich selbst im Kino ein Bild von diesem Film machen. So eine ambitionierte Produktion braucht die große Leinwand und die Zuschauer!
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