Kritik zu Becoming Animal
Emmy Davie und Peter Mettler porträtieren den Philosophen David Abram, der über den Zusammenhang von Mensch, Natur und Technik, von Verbindung, Sinnlichkeit und Einfühlung nachdenkt
Tier- und Naturfilme sind ja meist stark formatiert, was oft auch einen schwelgerischen Musikeinsatz bedeutet. So tut es richtig gut, wenn in den ersten drei Minuten von »Becoming Animal« einfach nur grasende Elche zu sehen und hören sind, von denen einer sich dann scheinbar aufmerksam Richtung Kamera wendet. Schnitt, Dunkelheit, und Menschen mit Taschenlampen stapfen durch einen Wald und lauschen flüsternd dem Brunftröhren der männlichen Tiere. Als schließlich ein mittelalter Mann mit Zauselbart sein Wort direkt in die Kamera richtet, äußert er ehrfürchtiges Staunen vor diesem Gesang und der ganzen »mehr als menschlichen« Welt hier draußen.
Der Mann ist der Philosoph David Abram. Und dann kommt sie doch, die Musik, und sie ist (mit Arvo Pärtt und Choralgesang) ebenso gewichtig wie feinziseliert gestaltet. Abrams Wanderungen (und Fahrten) durch verschiedene Landschaften und seine bedächtig formulierten Erläuterungen zum Verhältnis zwischen Tier, Pflanzenwelt und Mensch bilden das Grundgerüst dieses Films der Dokumentarfilmer Emma Davie und Peter Mettler. Abrams ist ein Guru der US-Ökologiebewegung, sein 1996 erschienenes Buch »The Spell of the Sensuous« ein Klassiker. 2010 erschien »Becoming Animal«, früh schon ging es dort um die kommunikative Vernetzung des Menschen mit anderen Lebewesen durch die Körpersinne, die auch eine Einfühlung möglich mache: »Erst der Kontakt und das Miteinander mit dem Nicht-Menschlichen machen uns menschlich.« Wenn Abrams davon spricht, wie der Baum vor ihm die Chemie der über seine Rinde streichenden menschlichen Hand erspürt, mag mancher das für esoterisch halten, es ist aber durch Forschung gedeckt.
Diese Spannung macht den Film aus. Das »Nature Writing«, in dessen Rahmen sich Abrams Buch bewegt, hat im angelsächsischen Raum eine lange literarische Tradition. Davies und Mettlers filmische Interpretation dagegen passt treffsicher in eine Zeit, in der die Menschheit ihr Verhältnis zu den anderen Spezies notwendigerweise neu justieren muss. Davie und Mettler sind altgediente Dokumentaristen (sie in Edinburgh, er zwischen Toronto/Ostschweiz), Mettler dazu ein begnadeter Kameramann, der zwischen raschelnden Bäumen und Landschaftspanoramen manchmal fast psychedelische Bilder findet. Und dann sitzt die Kamera plötzlich wirklich oben auf einem Vogelrücken, wie wir es aus anderen aktuellen Tierfilmen kennen. Auch dies ein »immersiver Film« also, nur dass der modische Begriff hier in Abrams Programmatik einen stimmigen inhaltlichen Referenzrahmen findet.
Der Film ist keine biografische Annäherung an Abram, sondern setzt ihn als einen Gleichgesinnten der Filmemacher. So ist »Becoming Animal« ein Filmessay über Mensch, Natur – und immer wieder auch Technik, der Abram keinesfalls feindlich gegenübersteht. In den Werbetafeln mit großen bewegten Buchstaben, die in den USA die Straßen säumen, sieht er sogar eine neue Art des Animismus, der die alten Berg- und Flussgeister ersetzt. Wer an solchen Überlegungen Spaß hat, findet in »Becoming Animal« viele anregende Ideen.
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