Kritik zu Beau Is Afraid
In seiner bislang ehrgeizigsten Produktion schickt Ari Aster (»Midsommar«) die von Joaquin Phoenix verkörperte Titelfigur auf eine Odyssee der eigenen Neurosen, Ängste und Familiengeheimnisse
Beau hat dicke Eier; allerdings nicht von jener Sorte, die »harten Männern« zugeschrieben werden, die vorangehen und Dinge erledigen. So einer ist Beau nicht. Er ist eher einer, der möglichst wenig auffallen will. Beaus Hoden sind deswegen dick, weil er nicht zu ejakulieren wagt, sind doch bereits der Vater und der Großvater im Augenblick ihres ersten Orgasmus verstorben. Als wäre es ein Fluch. Die Mutter hat ihm das eingetrichtert, und obwohl man sie lange nicht zu Gesicht bekommt, versteht man doch gleich zu Beginn von Ari Asters »Beau Is Afraid« die Natur des Verhältnisses der beiden: die allzeit übergriffige Schmerzensmutter, die sich zur Heiligen stilisiert, treibt das hilflose Muttersöhnchen mit passiver Aggression in die Verzweiflung. Man versteht das, weil Joaquin Phoenix seine gesamte schauspielerische Intensität (bekanntlich keine geringe) dareinsetzt, diesen Beau am Rande eines schmerzhaften Wahnsinns entlang taumeln zu lassen, jederzeit absturzgefährdet. An ihm liegt es also nicht, dass der Film letztlich implodiert.
Man kann sich für Beau, den armen Tropf, kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als sich ganz alleine auf den Weg quer durchs Land zur Beerdigung seiner Mutter machen zu müssen, gequält von Schuldgefühlen und leichte Beute für Lügner, Betrüger und Windbeutel aller Art. Eine Heldenreise, die als Höllenfahrt konzipiert ist, und da »Beau Is Afraid« mit einem fulminanten Beginn aufwartet, begibt man sich gespannt in die Hände von Aster, der sich mit »Hereditary« (2018) und »Midsommar« (2019) als Regisseur des etwas anderen Horrors etabliert hat. Doch dann setzt allmählich Ernüchterung ein. Die mit einem Budget von 35 Millionen Dollar bislang teuerste Produktion des derzeit sehr angesagten A24-Studios kennt weder Maß noch Ziel. Geschlagene drei Stunden lang hetzt der Regisseur seinen Titelhelden durch traumatische Abgründe und psychotische Untiefen und pflastert seinen Weg mit neurotischem, paranoidem und hysterischem Personal. Es geht zu wie im Irrenhaus, und je länger es so zugeht, umso weniger Sinn ergeben die Ereignisse, die in Gestalt von Alpträumen, Erinnerungen, Vorahnungen, Geschichten in Geschichten (in Geschichten) sowie möglicherweise tatsächlichem Geschehen präsentiert werden. Im Einzelnen ist das zwar jeweils durchaus faszinierend anzusehen, am Ende aber bleibt doch die Ratlosigkeit der bestimmende Eindruck. Was ging denn da nun eigentlich vor sich? Vor allem aber: Was ging da schief?
Gut möglich, dass »Beau Is Afraid« – ein Projekt, an dem Aster laut eigener Aussage bereits seit seinem 2011 entstandenen Kurzfilm »Beau«« herumlaboriert – dem Filmemacher schlicht über den Kopf gewachsen ist. Er wäre darin seinem orientierungslosen Helden nicht unähnlich, was das Unterfangen schon wieder sympathisch macht. »Beau Is Afraid« beweist aber auch, dass Film als Mittel der Therapie einer in Konfusion geratenen Psyche nur bedingt taugt. Weil das fantasieliebende Medium allzuleicht die Seiten wechselt und sodann nur weiteres Chaos stiftet, wo es Ordnung hätte schaffen sollen.
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