Kritik zu Aznavour by Charles

© Arsenal Filmverleih

2019
Original-Titel: 
Le regard de Charles
Filmstart in Deutschland: 
17.06.2021
L: 
83 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Charles Aznavour und wie er die Welt sah: In dieser audiovisuellen Collage aus bisher unbekannten Aufnahmen des Amateurfilmers und seinen Chansons wird der Mythos des franko-armenischen Weltstars neu wiederbelebt

Bewertung: 4
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Zu erfahren, dass Charles Aznavour neben seinen Karrieren als Sänger, Songschreiber und Schauspieler auch ein Händchen für die Kamera hatte, ist fast zu viel des Guten. 1948 schenkte ihm Édith Piaf, für die er damals als Sekretär arbeitete, eine Paillard-Bolex-Kamera, die er fortan überall hin mitnahm. Bis 1982 lichtete er, mit Talent für Bildkomposition und den Zauber des Augenblicks, das Getriebe seines Lebens jenseits der Konzerte ab. Das Filmmaterial machte er einige Monate vor seinem Tod – er starb 2018 im Alter von 94 Jahren – dem Musikproduzenten und Filmemacher Marc Di Domenico zugänglich. Aus 40 Stunden Material montierte dieser, abgesegnet von Aznavours Sohn, eine audiovisuelle Collage, unterlegt mit einem Voice-over (im Original die Stimme von Romain Duris) von Texten aus Aznavours fünf Biografien und seinen Chansons. 25 Lieder, darunter sechs seiner bekanntesten wie »La Bohème« und »Les enfants de la guerre«, sind zu hören. Wir sehen die Nachkriegsjahre durch die Linse eines Mannes, der mit Hingabe lebte und dieses Leben im gleichen Atemzug künstlerisch reflektierte. Die autobiografische Chronik wird beständig aufgebrochen durch die durch Bilder ausgelösten Erinnerungen, die zu Aznavours Chansons – er soll über 800 selbst getextet haben – überleiten.

Aznavours Affinität zur Kamera kommt nicht von ungefähr; sein Aufstieg als Chansonnier ging Hand in Hand mit einer Karriere als Schauspieler, beginnend mit François Truffauts Krimi »Schießen Sie nicht auf den Pianisten«. Er selbst drehte während der Dreharbeiten und machte sich einen Reim darauf: »Ihr schaut auf mich«, den überlebensgroßen Star, doch »ich habe euch auch gesehen«. Die Bildauswahl wird von drei roten Fäden dominiert: Reminiszenzen an seine Kindheit, die Liebe, seine armenischen Wurzeln. Der Ehrgeiz des Immigrantenkindes und die Anstrengungen des Aufstiegs werden in poetischen Metaphern verkleidet. So erinnert den Amateurfilmer das arbeitende Volk, das er mit seiner Kamera auf seinen Welttourneen aufnimmt, an das Schicksal seines Vaters, der seinen Händlerkarren durch Montmartre zog. Profane Scherereien mit Steuer, Staat und Scheidung, die einst Schlagzeilen machten, werden komplett ausgespart.

Insofern ist diese Nabelschau sehr französisch, zugleich elegant, schwärmerisch – und, nie um große Worte, Gefühle und Gesten verlegen, auch eine filmische Imitation von Aznavours musikalischem Stil. Die prominenteste Rolle in seinem Leben spielten in dieser Lesart die Frauen; herzzerreißend die erste Begegnung mit seiner Großmutter in Eriwan, berückend die verliebten Streiflichter auf die Freundin, von exquisiter Bosheit der Abschied von ihr, die ihm zu bourgeois war: »Die Füchsin will ihren Nerz.« In reuelos romantischem Minnesang, mit den Attributen Marmor und Schnee, schwärmt er dagegen von seiner dritten Ehefrau, der Schwedin Ulla. Insgesamt ist dieses impressionistische Filmtagebuch, dessen Bilder einer Welt von gestern auch nostalgisch stimmen, eine schöne Würdigung eines Weltstars, der stets in seiner eigenen Liga spielte.

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