Kritik zu Anmaßung
In seinem jüngsten Film lässt das Filmemacherduo Stefan Kolbe und Chris Wright (»Technik des Glücks«, »Das Block«) aus der Annäherung an einen verurteilten Kriminellen eine Reflexion über das Machen von Dokumentarfilmen erwachsen
Stefan Kolbe (Koregie und Kamera) und Chris Wright (Koregie und Montage) machen seit über zwanzig Jahren gemeinsam dokumentarische Filme, die formal und inhaltlich Maßstäbe setzen. Ihre Drehorte befinden sich meist im kleinstädtischen Sachsen-Anhalt: der Amateurfilmclub eines stillgelegten Heizkraftwerks, eine Plattenbausiedlung, ein Heim für Jugendliche. Die filmische Annäherung orientiert sich am jeweiligen Sujet, von der Arbeit mit Archivbildern über die aufdringlich dichte Bewegtkamera bis zu dialogischen Passagen.
Allen Filmen gemeinsam waren der Einsatz von viel Zeit und große Nähe zum gefilmten Personal. Doch nach »Pfarrer« 2014 fühlten sich die Filmemacher mit ihren Methoden in einer Krise: einerseits wegen des menschlichen Aspekts, wenn auf die große Intimität beim Dreh notwendig die Trennung folgt. Andererseits gab es Frustration durch Teile des Publikums, die ihre dokumentarische Methode der subjektiven Annäherung nicht verstanden und mehr »Repräsentativität« einforderten.
Beides waren Anlässe zu diesem Film, der die Beziehung der Filmemacher zu ihrem Sujet und die Möglichkeiten der Darstellung zum eigentlichen Thema macht. Objekt der Annäherung ist diesmal ein verurteilter Frauenmörder und Stalker, der zu Beginn des Films in der sozialtherapeutischen Abteilung der JVA Brandenburg einsitzt. Wieder nehmen sich die Filmemacher Zeit, mehrere Jahre begleitet Kolbe mit der Kamera bei Besuchen und Freigängen das Leben des mittelalten Mannes, der im Lauf der Drehzeit erst in den offenen Vollzug und dann in die Freiheit entlassen wird.
Zu sehen sind diese Szenen im Film nur am Rande. Denn Stefan S. will (wie viele in seiner Situation) später nicht erkannt werden, weshalb die Filmemacher verschiedene – übliche und originelle – Formen der Verfremdung einsetzen. Und sie nutzen diese neben dem direkten Zweck der Tarnung auch dazu, praktisch und diskursiv übergreifende Fragen zur Sichtbarkeit, zu Projektionen und Erkenntnismöglichkeiten zu stellen. »Was sehen wir, wenn wir nichts sehen können?«, sagt Chris Wright zu Beginn des Films, während die beiden Filmemacher und ihr Protagonist frontal in die Kamera schauen – mit Masken, die damals noch nicht Corona geschuldet waren.
Eines der Verfremdungsmittel ist die Spiegelung durch zwei Puppenspielerinnen, die mit einer kleinkindgroßen grob den Zügen von S. nachempfundenen Handpuppe Szenen seines Lebens nachspielen und dabei – wie auch die Filmemacher – selbst im Bild zu sehen sind. Dabei irritieren wachsende Informationen über die Tat von S. die Arbeit der jungen Frauen und ihr Verhältnis zu den Filmemachern. Doch auch für diese machen mit der Zeit Fragen nach der eigenen Rolle im Konzept ihres Protagonisten die Situation zunehmend prekär, und die anfangs so fest scheinenden Machtverhältnisse geraten in eine Bewegung, die ihr Ende nur im offenen Ende des Films findet.
So ist »Anmaßung« auch ein kritischer Kommentar zum heute populären »True Crime«-Format. Bleibt eine weitere große offene Frage, nämlich wie es für die beiden Filmemacher weitergehen kann. Denn Filme über das Filmen zu machen, sei »auf die Dauer nicht wirklich sexy«, sagte Stefan Kolbe im Interview.
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