Kritik zu Alles nur Theater?
Erneut verfilmt Riccardo Milani die Geschichte der theatralen Resozialisierung von fünf Häftlingen, die »Warten auf Godot« aufführen. Kann aus dem Bühnenglück zum zweiten Mal ein Kinoglück werden?
An dieser Stelle könnte durchaus die gleiche Kritik stehen, die im Dezember 2022 zu »Ein Triumph« erschien. Das wäre zwar unredlich, aber vielleicht keine Schande. Es würde Riccardo Milanis italienischem Remake sehr wohl gerecht, da sich nichts Wesentliches geändert hat gegenüber dem französischen Original.
Wiederum führt ein Schauspieler, der bessere Zeiten gesehen hat, einen Trupp von fünf kulturfernen Gefängnisinsassen unverhofft zur Bühnenreife. Wiederum glänzen sie als Ensemble von Samuel Becketts »Warten auf Godot«, das nach der erfolgreichen Premiere auf Tournee gehen darf, aber unberechenbar bleibt. Wiederum durchleben sie das demütigende Wechselbad, nach ihren Bühnentriumphen eine strenge Leibesvisitation über sich ergehen zu lassen. Und wiederum raubt ein ebenfalls einnehmend glatzköpfiger Regisseur der wohlwollenden Gefängnisdirektorin den letzten Nerv. Dennoch ist nichts beim Alten geblieben.
Selbstverständlich greifen Milani und sein Co-Autor Michele Astori die unwiderstehlichen Pointen des Originals dankbar wieder auf. Aber diesmal klingen sie anders. Das hat nicht wenig mit Folklore zu tun, namentlich unterschiedlichen Auffassungen von Männlichkeit und Familiensinn. Auch die Gesellschaft scheint sich etwas anders zu formieren: Wenn die Angehörigen und Freunde der fünf Bühnenhelden sich stolz unter das Publikum mischen, mutet der Kulturschock heftiger, vergnüglicher an. Den entscheidenden Unterschied macht natürlich die Besetzung aus. Antonio Albanese ist in der Rolle des Regisseurs kein vollgültiger Ersatz für den vornehmeren Kad Merad. Das muss er aber auch nicht, denn er setzt eigene Akzente. In Albaneses vorangegangenen Filmen mit Milani und Silvio Soldini (»Tage und Wolken«) werden seine Figuren heilsam entwurzelt, zappeln als Fische auf dem Trockenen der eigenen Existenz. Hier lernen wir ihn anfangs an einem künstlerischen Tiefpunkt kennen – bei der Synchronarbeit zu einem Porno, was mit Merad unvorstellbar wäre. Albaneses Figur wirkt übellauniger und gehetzter, obwohl sie genauso viel zu gewinnen (oder verlieren) hat. Die Verbindung zu seinen Schülern ist physisch zuweilen inniger; der Originaltitel »Grazie ragazzi« unterstreicht dies. Aber wenn er sie mit dem Schlachtruf »Merda!« anspornt, springt der Bühnenfunke genauso über.
Das Feuer lodert also wieder. Milani bekräftigt den Kontrakt des Stoffes mit dem Publikum, erneuert ihn in Nuancen. Den Abstand zwischen Becketts Stück und den Darstellern vermisst er sacht auf neue Weise. Das Remake interpretiert das Vertraute so munter, dass sich bald eine frische Neugier einstellt. Nehmen wir nur einmal eine der schönen Ambivalenzen dieser Geschichte. Sie betrifft die Figur des von allen gefürchteten Häftlings (Diego heißt er hier), der einen anderen brutal aus der Rolle drängt und sich diese dann kraft seines Talents ganz zu eigen macht. Nun darf man erneut mit ihm fiebern, ob er seinen entzogenen Sohn im Theater endlich in die Arme schließen darf. Das hat schon beim ersten Mal funktioniert. Und merda, es klappt auch beim zweiten.
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