Kritik zu Tage und Wolken

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Mit der märchenhaften Emanzipationsgeschichte »Brot und Tulpen« wurde Silvio Soldini bekannt. Auch sein neuer Film erzählt von einem gewaltigen Umbruch: dem sozialen Abstieg eines bürgerlichen Paares

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Viele italienische Filme der letzten Zeit stellen sich als Abrechnung mit der Ära Berlusconi dar. Sie konstatieren Bestechlichkeit, den Ausverkauf der Werte, politische Lethargie und eine große Entsolidarisierung in der italienischen Gesellschaft. »Tage und Wolken« von Silvio Soldini gehört zu den stilleren, aber keineswegs wirkungslosen Werken.

Soldini konzentriert sich hier auf die Geschichte einer Ehe, die nach zwei Jahrzehnten erschüttert wird, als der Mann seinen Job verliert. Elsa (Margherita Buy) hat gerade ihren Doktor in Kunstgeschichte gemacht, ein spätes Studium, nachdem die Tochter aus dem Haus ist. Ihr Mann Michele (Antonio Albanese) ist Mitinhaber einer Spedition. Die beiden wohnen in einer schönen Altbauwohnung in Genua, reisen viel und gehen gerne in gute Restaurants. Die Ohrringe und die Party, mit denen Michele Elsa nach der Promotion überrascht, künden von einer immer noch zärtlichen Liebe – ein sympathisches Paar. In den ersten zehn Minuten des Films wird ein bürgerlicher Traum von Glück sorgfältig ausformuliert: Geld, Zeit, Geschmack, viele gute Freunde, eine liebevolle Familie – was will man mehr! Danach wird es für Elsa und Michele kontinuierlich abwärtsgehen.

Am Tag nach der Party teilt Michele Elsa mit, dass ihn seine Partner schon vor zwei Monaten aus dem Geschäft geworfen haben; um sie bei ihren Prüfungsvorbereitungen nicht zu stören, hatte er ihr nichts erzählt. Sie können die Wohnung nicht halten, auch das Segelboot muss verkauft werden. Eine private Katastrophe, die mit der weltweiten Katerstimmung korrespondiert, wie sie kennzeichnend geworden ist für das neue Jahrtausend.

Elsa ist zunächst wie erschlagen, entwickelt aber schnell ungeahnte Energien. Sie nimmt einen Job in einem Callcenter an, findet dann eine Stelle als Sekretärin in einem Schifffahrtsunternehmen. Michele dagegen hängt immer häufiger durch. Er jobbt als Vespa- Kurier, was witzig aussieht und in anderen Filmen der Beginn eines neuen Lebens sein könnte. Michele aber wird zufällig von seiner Tochter Alice gesehen, der er aus Scham nichts von seiner Arbeitslosigkeit erzählt hatte. Es kommt zum Streit, weil Alice sein Schweigen als Vertrauensbruch versteht und Michele furchtbar dünnhäutig ist. Danach hockt er als Häufchen Elend nackt in der Dusche.

Dass das Sein das Bewusstsein formt, mag man vielleicht schon häufiger gehört haben – Soldini aber malt diesen Satz mit vielen farbigen Details sorgfältig aus. Man kann den beiden wunderbaren Hauptdarstellern dabei zusehen, wie sie ihre Klasse verlieren; wie ihre materielle Armut Freundschaften zerstört und ihre Ehe zersetzt. Wenig Geld zu haben bedeutet, keine Zeit für beseeltes Tun zu haben. Es bedeutet, erschöpft zu sein von der Nachtschicht, Ringe unter den Augen zu haben und wenig Selbstbewusstsein. Elsa, die sich völlig aufbraucht beim Geldverdienen, muss schließlich sogar ihre Arbeit an einem Deckenfresko aufgeben, das sie – ohne Bezahlung versteht sich – freilegen wollte. Armut und Schönheit vertragen sich schlecht.

»Brot und Tulpen« war ein Venedig-Film, mit entsprechend märchenhafter Atmosphäre. Dass »Tage und Wolken« nun in Genua spielt, garantiert eine etwas herbere Stimmung. Der Film gibt sich sanft, ist in entscheidenden Momenten aber völlig unsentimental. Alle Gelegenheiten – und es gäbe nicht wenige –, kitschig zu werden, lässt er aus. Die erhoffte Überwindung von Klassenschranken durch die Arbeitslosigkeit entpuppt sich als Illusion ebenso wie eine mögliche Solidarität unter den sozial Deklassierten. In dem hellhörigen Mietshaus, in das Michele und Elsa ziehen, kämpft jeder für sich. Und Micheles Freundschaft zu zwei seiner ehemaligen Arbeiter endet, als diese reguläre Jobs finden.

Der Horizont, der sich Michele und Elsa schließlich öffnet, muss ein innerer sein – und dass Soldini seinem Paar diesen Blick ins Offene gönnt, weist ihn dann doch wieder als großen Märchenerzähler aus. Er beendet seinen Film mit dem freigelegten Fresko einer Verkündigung. Der gewaltige Eingriff des Engels in dieser biblischen Szene spiegelt die Erschütterung im Leben des Paares. Ein Ende mit Schrecken aber ist das nicht – in der Heilsgeschichte bedeutet die Verkündigung sowohl Überwältigung wie Neuanfang.

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