Kritik zu Alles Geld der Welt
Ridley Scotts Verfilmung der Geschichte um die Entführung von John Paul Getty III. durch die kalabrische 'Ndrangheta ist weniger Thriller als psychologisches Drama um die Frage, wie Geld Familien verformt
»Alles Geld der Welt«, so erklärt man allen, denen der Titel nichts sagt, das ist der Film, aus dem Kevin Spacey rausgeschnitten wurde. Während auf der einen Seite darüber diskutiert wird, ob das der richtige Umgang mit Stars wie Spacey sei, fühlen sich andere genötigt, die Professionalität des 80-jährigen Ridley Scott zu bewundern, der wenige Wochen vor dem geplanten Kinostart die entsprechenden Szenen mit dem 88-jährigen Christopher Plummer kurzerhand nachdrehte, um den Film doch noch wie geplant in der Oscar-Qualifikationsperiode herauszubringen. Als wäre das noch nicht genug, berichtete die »New York Times« zum Kinostart in den USA über das Lohngefälle zwischen Michelle Williams, die ein paar Tausend Dollar für den Nachdreh erhalten habe, und Mark Wahlberg, dessen Agentur eine Millionengage ausgehandelt hatte. Wahlberg gab schließlich bekannt, dass er seine 1,5 Millionen an die »Time's Up«-Initiative gespendet habe. Genau das, was Ridley Scott so unbedingt vermeiden wollte, dass sein Film überschattet wird, hat ihn schließlich doch eingeholt. Und zuallerletzt kommt noch hinzu, dass der fertige Film anders ist als gemeinhin erwartet. Wo die meisten mit einem Thriller gerechnet haben, der die bekannte Entführungsgeschichte um John Paul Getty III., das Ohr und den geizigen Großvater mit viel Suspense nacherzählt, präsentiert Scott ein widerborstiges psychologisches Drama mit lauter Figuren, die dem Zuschauer nicht wirklich sympathisch sind.
Als Paradox wird die komplizierte Entstehungsgeschichte dem Film eingeschrieben bleiben: dass man dem fertigen Produkt nichts mehr von seiner komplizierten Entstehung ansieht. Im Gegenteil, und das geht ganz auf das Konto von Christopher Plummer, man kann sich gar nicht vorstellen, wie der Film ausgesehen hätte mit einem anderen, ist doch Plummers Figur J. Paul Getty das zentrale Kraftfeld der Erzählung.
Was es heißt, ein Getty zu sein, darüber sinniert sein Enkelsohn John Paul Getty III. (Charlie Plummer, nicht verwandt mit Christopher) von den ersten Minuten des Films an über Bildern, die ihn beim Herumstromern im Rom der frühen siebziger Jahre zeigen. Das »Getty-Sein« aber hat er erschaffen: J. Paul Getty der Erste. In Rückblenden rekonstruiert Scott die Geburt des Ölmagnaten aus dem Geist des amerikanischen Unternehmertums und der Wüste: Man sieht Getty im saudi-arabischen Sand mit Scheichs verhandeln, mit dem Blick gierig den Horizont bemessend. In den sechziger Jahren galt Getty als reichster Mann der Welt. Um seine fünf Söhne aus vier Ehen soll er sich wenig gekümmert haben.
Das ist das eigentliche Thema von »Alles Geld der Welt«: Wie Reichtum Familien (ver)formt. Weshalb Scott sich auch viel Zeit lässt, bis er zum »Aufreger« der Filmhandlung kommt, der fünf Monate währenden dramatischen Entführung des Enkelsohns. Stattdessen wird zunächst von der Sohnesgeneration erzählt, vom unnützen John Paul II. (Andrew Buchan aus »Broadchurch«) und seiner taffen Frau Gail (Michelle Williams), die nach der Scheidung auf Distanz geht zum Familienpatriarchen. Dann gibt es prägende Szenen aus dem Aufwachsen des Lieblingsenkels John Paul III., dem der Opa Lektionen über die Zwiespältigkeiten des Geldhabens erteilt. Zum Beispiel dass es auf die Bittbriefe, in denen Menschen ihn um milde Gaben angehen, nur die eine Antwort gibt: »Wenn ich allen geben würde, hätte ich selbst nichts mehr.« Reich sein, so erklärt Getty an anderer Stelle, ist etwas ganz anderes als reich werden. Letzteres sei vergleichsweise einfach, ersteres hingegen...
Später gibt es Spannungsmomente und überraschende Wendungen (die reale Geschichte erfährt einige Ausschmückungen), aber fast scheint es so, als interessiere sich Scott nicht wirklich dafür. Statt das Tauziehen zwischen Entführern (Romain Duris spielt nah an der schmierigen Verbrecherkarikatur) und Angehörigen (als deren Unterhändler macht Mark Wahlberg eine blasse Figur) zentral zu verhandeln, stellt Scott das Drama zwischen der von Michelle Williams gespielten Mutter und Plummers isoliertem Patriarchen in den Vordergrund. Interessant wird dieser Konflikt gerade dadurch, dass er in völliger Unterkühlung und Beherrschtheit ausgefochten wird. Williams' Gail kennt ihr Gegenüber zu gut, um mit Argumenten anzukommen, sie weiß, dass gegen die Logik des Geldes und den daraus geformten Charakter des alten Getty nicht anzureden ist. Wie sie dennoch, vor Wut bebend, den alten Geizhals mit jeder Pore verachtend, ihn wieder und wieder bitten muss, das von den Entführern geforderte Geld zu zahlen – das ist das eigentliche Thriller-Element dieses Films.
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