Kritik zu Aheds Knie

© Grandfilm

Autofiktion und Film im Film: in Nadav Lapids Nachfolgewerk zu seinem preisgekrönten »Synonymes« ringt ein Regisseur mit einem neuen umstrittenen Projekt und um die Kunstfreiheit

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 1)

An Konsequenz mangelt es Nadav Lapids Film »Aheds Knie« nicht. Schon in »Synonymes«, seiner kinematografischen Wundertüte um einen israelischen Exilanten, der in Paris alle Spuren seiner Heimat loszuwerden versucht, war der Held als Alter ego des Regisseurs zu erkennen, im Nachfolgerfilm nun sind die Grenzen noch fließender. »Aheds Knie« ist ein aus der Hüfte geschossener Wutfilm: entstanden kurz nach dem Tod der Mutter, unmittelbar nach dem Erfolg von »Synonymes« in Berlin (Goldener Bär), geschrieben und gedreht in kürzester Zeit.

Es geht um den Regisseur Y (Avshalom Pollak), der seinen Film, »der in Berlin« war, auf Einladung in einer Bibliothek in einem Wüstenkaff in der Arava zeigen soll. Y ist ein zynischer Typ, den man nur in den Videobotschaften an die krebskranke Mutter als liebevoll erlebt, der ansonsten aus seinem Groll auf seine Heimat keinen Hehl macht. »Der Verlust der Seele dieses Landes und seine Verrohung? Das seinen armseligen Verstand auch noch feiert? Das genau ist das Thema des Films«, erklärt Y der stellvertretenden Direktorin der Bibliotheksabteilung des Kultusministeriums, Yahalom (Nur Fibak). Die junge Frau empfängt ihn mit einem Dokument, auf dem die erlaubten Themen des abendlichen Filmgesprächs genau festgelegt sind. Der Ton ist hier noch »freundlich«, beim Showdown in der Wüste zerlegt Y sein Land verbal aufs heftigste.

Lapid treibt ein wildes Spiel mit der Autofiktion. Sein wütender Regisseur Y arbeitet an einem durch Ahed Tamimi inspirierten Film; die junge Palästinenserin musste ins Gefängnis, weil sie 2012 einen Soldaten bedroht hatte. Die Bilder gingen in den Sozialen Medien viral. Als Reaktion darauf, dass Tamimi 2015 auch noch einen Soldaten, der ihren Bruder festnehmen wollte, biss, twitterte der Parlamentsabgeordnete Bezalel Smotrich, dass sie eine Kugel ins Knie bekommen müsse. Das Zensurdokument im Film ist ein Wink auf Miri Regev, Israels ehemalige Ministerin für Kultur und Sport, deren nationalistische Kulturpolitik umstritten war.

Das titelgebende Knie ist zu Beginn während eines Castings zu sehen, später erklärt Y, sein neuer Film werde »vielleicht was Experimentelles«, wie nun »Aheds Knie« auch eine experimentelle Skizze geworden ist. Zu Vanessa Paradis' Hit »Be My Baby« tänzelt Y durch die Arava, einmal tanzen Soldatinnen – Lapids Wehrdienst spielt wieder eine Rolle – eine Choreographie. Und wie schon in »Synonymes« dreht die Kamera frei, fängt Gespräche in Reißschwenks ein, tanzt durch die Wüste und zerlegt Figuren durch Nahaufnahmen, etwa auf die Partie hinter den Ohren.

Lapid macht sich Luft in diesem Ritt durch die Wüste, in dem er das Medium Film reflektiert und es zum kämpferischen Vehikel macht für die Freiheit der Kunst, koste es, was es wolle. Das ist schmerzlich, aber konsequent. Und es ist in Lapids Logik auch ein Zeichen der Liebe. Denn, so hat er mal gesagt, die Feindseligkeit gegen Israel wäre nicht so heftig ohne ein starkes Zugehörigkeitsgefühl.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt