Kritik zu Acid

OmU © Salzgeber

Warum bloß immer die Technoszene? Schauspieler Alexander Gorchilin porträtiert in seinem Regiedebüt eine russische Jugend zwischen Langeweile, Drogen, Sex und dysfunktionalen Familien

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»Zuerst wirst du ein Provokateur, und dann ein reicher, berühmter Künstler«, sagt Vasilisk einmal. Der Künstler verstümmelt die Büsten alter Politiker in Säure und ist damit erfolgreich. Steckt in der Aussage die Agenda, die Alexander Gorchilin in seinem Regiedebüt »Acid« verfolgt? Ist Vasilisk gar sein Alter Ego? Denn ganz dem Filmtitel treu bleibend, spielt auch Gorchilin mit Säure, lässt sie seine Protagonisten sogar trinken und zeigt die russische Jugend als sozial- und kommunikationsdeformiert.

»Acid« will ein verstörendes Generationenporträt sein, mit allem, was dazugehört: Langeweile, Drogen, Sex, marodierte Familien und Techno. Dass es das schon tausend Mal gab, ist nicht das Problem. Dass es Gorchilin allerdings nicht wirklich gelingt, seine subversive Energie in eine Erzählung zu kanalisieren, die hängen bleibt, berührt oder irgendwie schockiert, schon. Und nebenbei gefragt: Warum müssen eigentlich immer die Technofreunde, wie auch in der völlig außer Rand und Band geratenden deutschen Serie »Beat«, als kaputtes Hedonistenvolk herhalten? Die meisten Raver haben doch die Welt einfach nur lieb!

Es fängt gleich wild an mit einem völlig bedröhnt durch die Wohnung krakeelenden Vanya. »Wenn du springen willst, spring!«, brüllt Petya (Aleksandr Kuznetsov). Gesagt, getan, Vanya springt in den Tod und damit nimmt das Geschehen seinen Lauf. Nach der Beerdigung wird im Technoclub gefeiert, wo Petya, Musikproduzent Sasha (Filipp Avdeyev), der zu so etwas wie der Haupt­figur des Films wird, und dessen Freundin Karina Vasilisk kennenlernen. Der fotografiert begeistert Sa­shas beschnittenen Penis, später trinkt Petya Säure und kommt mit ­vorübergehender Stimmlosigkeit und einem Pflaster davon.

Es wird um Beziehungs- und Sexkarussells gehen, um Sashas Nacht mit einer 15-Jährigen, um sein Leben bei der Oma und sein schwieriges Verhältnis zur im Ausland lebenden Mutter. Und immer wieder taucht die Flasche mit der Säure auf, die gegen Ende eine Rolle bei einer Taufe spielen wird.

Doch so sehr es auch danach klingt: »Acid« ätzt nicht wirklich. Zu zerrissen und wenig dringlich ist dieses düstere, sozialrealistische Debüt, zu konturlos sind die meisten Figuren geraten. Was allerdings nicht an den Schauspielern liegt, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten überzeugend spielen. Hier kann Schauspieler Gorchilin, bekannt etwa aus Kirill Serebrennikovs Filmen »Der die Zeichen liest« und »Leto«, aus der Erfahrung seiner ureigenen Profession schöpfen.

In wenigen Momenten gelingt es Gorchilin, die Leere seiner Protagonisten in kinematografische Sprache zu übersetzen. In der stärksten Szene, auf die man buchstäblich den gesamten Film warten muss, läuft Sasha über eine geisterhaft verlassene Stadtautobahn, um ihn herum ein tristes Grau in Grau. Die Kamera umkreist ihn, er zieht die Säureflasche aus der Tasche, pustet hinein und die Einstellung endet mit einem schriller werdenden Pfeifen. Zu sagen, dass sich »Acid« dieser Szene wegen lohnt, wäre allerdings zu viel des Guten.

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