Kritik zu Abendland
Anspielungsreich und verspielt entwickelt der in Jerusalem geborene und in Hamburg lehrende Regisseur Omer Fast eine gesellschaftliche Parabel über den Klimaaktivismus
Im Wald, da sind die Räuber. Die ganz legalen Ausbeuter von Natur und frisch geschlagenem Holz. Und maskierte Aktivist*innen, die zu Anfang dieses Films erst die Holzfäller verscheuchen und sich dann zerstörerisch an deren enormen Abräummaschinen zu schaffen machen. Doch nach dem folgenden Rave-Rausch werden die Naturschützer von einem Trupp Polizisten in schwerer Montur unsanft aus ihrem Erholungsschlaf auf dem Waldboden geweckt und durchs Unterholz gejagt.
Dabei im Visier der Kamera auch eine eher außerhalb der Gruppe stehende beobachtende Person mit knallblauer Jacke und einer karikaturesken Angela-Merkel-Maske vor dem Kopf, die auf der Flucht in ein Alice-in-Wonderland-gemäßes Abseits gerät: Erst auf abschüssigem Weg über eine Böschung und einen schroffen Abhang im Schwung tief herab in einen Busch, wo sie später mit kaputtem Bein aufwacht und um Hilfe ruft, als das Handy nicht funktioniert. Danach bleiben wir fast bis zum Schluss im Grünen, das sich erst vom schnöden Forst in ein urwaldähnliches Naturidyll mit Felsschluchten und gluckerndem Flüsschen verwandelt.
Doch dann findet sich »Angela« nach einem doppelten Sündenfall und dem Aufstieg mit einer zufällig vorhandenen Strickleiter in einer unheimlich toten Waldwelt: Da gibt es statt Vogelzwitschern ein ganzes Dorf luftiger Wipfelhäuser, wie wir sie etwa aus dem besetzten Hambacher Forst kennen. Auch die Baumhausbewohner*innen sind mit Masken als Tiere oder Comicfiguren verkleidet (es gibt auch eine zweite Merkel-Maske), die in die »Kolonie« eingedrungene fremde Person wird erst mal in Quarantäne verfrachtet. Sie seien nicht Aktivisten, sondern Separatisten (»Wir möchten nicht verändern, wir möchten neu starten«), betont einer der Waldmenschen später – eine zwei Dutzend Personen starke klandestine Gruppe, die mit ihrer krassen Paranoia und hingeplapperten ideologischen Versatzstücken unterschiedlichster Herkunft an eine Sekte erinnert.
Der 1972 in Jerusalem geborene und seit letztem Jahr an der Hamburger Hochschule für bildende Künste lehrende Videokünstler Omer Fast überrascht in seinem dritten langen Film mit einer erstaunlich geradlinigen Narration, die sich von seinen bisherigen mehr experimentell angelegten Arbeiten absetzt. Für die Annäherung an ein genrenäheres Erzählkino ist sein neuer Film dennoch zu sperrig. So wenn Fast seine Figuren minutenlang im Wasser herumstapfen oder in der Tonspur mit verzerrter Stimme Ausschnitte politischer Statements und Reden rezitieren lässt, die keinen Sinn ergeben. Die fast den ganzen Film getragenen Masken (nur ein Mal sind bei einer Umkleideaktion für Sekunden die Gesichter zweier junger Schauspielerinnen zu sehen) geben visuell und akustisch einen interessanten Verfremdungseffekt. Inhaltlich lässt sich »Abendland« wohl am besten als anspielungsreiche und verspielte gesellschaftliche Parabel lesen, an deren Ende ein klobiger Lkw die Sicht auf die Zukunft versperrt. Nur der gewichtige Titel erfüllt sich trotz aller Metaphorik vom deutschen Wald nicht wirklich.
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