Kritik zu 66/67 – Fairplay war gestern

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Fußball ist ihr Leben: Der Film von Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser widmet sich dem Thema Hooligans, indem er eine Clique gewaltbereiter Fans vorstellt, die er nicht als grölendes Leinwandfutter ausbeutet, sondern als Figuren ernst nimmt

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Echte Fans lieben auch Verlierer. Der Fußballverein Eintracht Braunschweig scheint seine Zukunft längst hinter sich zu haben. Einst wirkten hier Bernd Gersdorff und Paul Breitner, in der Saison 1966/67 wurden die Braunschweiger sogar Deutscher Meister. Mittlerweile ist allerdings die Dritte Liga das Maß aller Dinge, und 2008 wäre Braunschweig fast abgestiegen. Der Film »66/67 – Fairplay war gestern« von Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser setzt im Schicksalsmonat Mai 2008 ein, als der Verein und seine Fans in den Abgrund der »sportlichen Bedeutungslosigkeit« in der Vierten Liga schauen.

Doch Florian und seine Kumpels halten in ewiger Treue zu ihren Helden in kurzen Hosen. »Hier geht es um alles. Um alles«, sagt Florian. Eintracht Braunschweig ist »die Macht«. Fabian Hinrichs spielt den Anführer der Fan-Truppe als Mischung aus Unteroffizier, Psychopath und großem Jungen. Die Identifikation mit dem Verein ist körperlich erfahrbar: Sie haben sich die magische Chiffre »66/67« ins Fleisch brennen lassen. So sahen früher die Rinder in den Western aus.

Das Drehbuch von Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser erzählt eine Geschichte vom Nicht-Erwachsenwerden. Der Fußball erlaubt den jungen Männern, die weder im Beruf noch im Privaten richtig Fuß gefasst haben, die Pubertät in Permanenz. Zwangsläufig geraten die Beziehungen von Florian und Özlem (Melika Foroutan) sowie von Christian (Christian Ahlers) und Mareille (Victoria Deutschmann) in eine prekäre Schieflage. Die Frauen sind dabei die Einzigen, die klar denken und entscheiden. Die Männer sind noch nicht einmal bereit, den Weg ins Leben zu suchen. Otto zum Beispiel, den Christoph Bach wie einen Wiedergänger von Norman Bates aussehen lässt, bewegt sich nicht gerade auf eine Lebensstation mit der Überschrift Happy End zu: Der Homosexuelle und Hartz-IV-Bezieher besucht spezielle Clubs, in denen die Besucher bewusst mit ihrem Leben spielen.

Der Film von Ludwig & Glaser betrachtet ein Milieu zwischen Pilsstübchen und Stadion, in dem eine exzessive Streitkultur gepflegt wird und Gewalt Lebenssinn stiftet. Gegen die Fans der »verbotenen Städte« Hannover oder Wolfsburg machen Florian & Co. mobil. Wer aus dem sektenhaften System aussteigen will, gilt als Verräter.

Die psychedelische Bildersprache des Films spiegelt die Desorientierung der Figuren, ihr selbstzerstörerisches Potenzial. So erhält das Sozialstück aus dem Fußballmilieu den Rahmen einer Kleine-Leute-Tragödie. Die Schauspieler, die Ludwig & Glaser versammelt haben, schaffen den Spagat zwischen Kumpelkomödie, Hooliganstudie und todernstem Kammerspiel. Fabian Hinrichs ist als Florian ein Mann, der vor seiner Zukunft im väterlichen Betrieb davonläuft und mit Gewalt seine existenzielle Verunsicherung betäubt. Christoph Bachs Otto dagegen wandelt auf destruktiven Pfaden, weil er magisch vom Tod angezogen ist. Christian Ahlers als archetypisch korpulenter und bebrillter »Loser« Christian, komplettiert das Trio, indem er sich vom skurrilen Dicken zum Selbstmordkandidaten und Amokläufer wandelt. Ein starker Auftritt.

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