Kritik zu 4 Tage im Mai
Wer sind die Bösen? Der dritte Kinofilm von Achim von Borries (»Was nützt die Liebe in Gedanken?«) erzählt von einer Konfrontation zwischen Deutschen und Rotarmisten am Ende des Zweiten Weltkriegs
Achim von Borries’ Film 4 Tage im Mai erzählt eine dramatische Episode vom Ende des Zweiten Weltkriegs, in der die Frontlinien zwischen Freund und Feind verschwimmen, die vielbeschworene Stunde null jedoch in einer absurden Dynamik der Gewalt explodiert. Am 4. Mai 1945, wenige Tage nach Hitlers Selbstmord, war der Krieg in Holland, Norddeutschland und Dänemark durch die Teilkapitulation der deutschen Truppen beendet worden. Hitlers Nachfolger Dönitz rechnete sich aus, so viele Soldaten und zivile Flüchtlinge wie möglich in die von den britischen Alliierten kontrollierten Gebiete fliehen zu lassen, um die Kräfte zu konzentrieren und den Krieg gegen die Rote Armee fortzusetzen. Vier Tage später scheiterte dieser Plan, als in der Nacht vom 8. zum 9. Mai die vollständige Kapitulation im russischen Hauptquartier in Berlin besiegelt wurde.
In dieser brisanten Situation zwischen Krieg und Frieden siedelt Achim von Borries eine Begegnung an, bei der die Feindbilder beider Seiten für eine kurze Zeit ins Wanken geraten. Schauplatz von 4 Tage im Mai ist ein Gutshaus in Strandnähe auf der Insel Rügen. Das Gut ist ein Kinderheim für Kriegswaisen, geführt von einer Baronin (Gertrud Roll), die aus St. Petersburg stammt und die russische Sprache beherrscht.
Aber auch ein Trupp Wehrmachtssoldaten wartet am Strand auf ein Boot, das sie nach Dänemark ins britische Gefangenenlager transportieren soll. Kriegsmüde, wie sich die Soldaten geben, sind sie eine bittere Enttäuschung für den Protagonisten des Films, einen kindlichen Rotschopf (Pavel Wenzel), der sie beobachtet. Peter, der wie seine Tante russisch spricht, verlor den Vater als Wehrmachtsoffizier im Krieg und kann trotz Kapitulation nicht von seinen Rachefantasien Abschied nehmen.
Die Teilkapitulation hat Rügen einen trügerischen Frieden beschert, so dass Vorposten der Roten Armee kampflos bis zum Gutshaus vordringen können. In dieser Situation lernt der Junge einen besonderen Vertreter der siegreichen Roten Armee kennen. Hauptmann Kalmykov (Aleksei Guskov), der mit acht müden Soldaten und einem Schuss für sein marodes Artilleriegeschütz alleingelassen wird, erweist sich als rücksichtsvoller Eroberer, der weder seine Soldaten noch die Heimkinder oder ihre Betreuerinnen schädigen möchte. Dass solch ein väterlicher Held eine lange Geschichte der Repressionen auf dem Buckel hat und immer wieder den Hass der oberen Ränge auf sich zieht, führt zur blindwütigen Eskalation. 4 Tage im Mai schildert die Rote Armee als gespaltene Truppe, als Schlachtfeld zwischen den wahren, gutmütigen und freundlichen Soldaten des Hauptmanns und seinem brutalen Vorgesetzten, einem stalinistischen Karrieristen (Merab Ninidze). Der Waffenstillstand mit den deutschen Gegnern am Strand hält mit Hilfe der Übersetzung des Jungen sogar, während die wüste Vergewaltigungsdrohung des betrunkenen Majors einen abgründigen Showdown auslöst, in dem die »guten« Deutschen und Russen den Panzern der angreifenden Rotarmisten hoffnungslos unterlegen sind.
Seine mitreißende Intensität gewinnt der Film durch seinen kindlichen Protagonisten. Dem trotzigen Blick des Jungen entgeht kein Detail der gefährlichen Pattsituation, die sich im Gutshaus zusammenbraut. Noch spielt er verträumt mit den Sonnenstrahlen, die durchs Scheunendach einfallen, aber am liebsten wäre er im letzten Aufgebot der soldatischen Männer dabei. Peter versteckt das Kindermädchen (Angelina Häntsch), in das er verliebt ist, vor den anrückenden Soldaten, weiß sich aber vor Eifersucht kaum zu helfen, als sie sich ihrerseits in den russischen Funker (Grigoriy Dobrygin) verliebt, einen Konzertpianisten, der Schubert und Schumann für sie spielt.
Gespräche über Trennendes und Verbindendes, etwa die Sprache des Feindes oder die Bedeutung von Spitznamen, ziehen sich durch den Film. Auch die Wahl der Schauplätze, die visuelle Inszenierung und Bildführung unterstreichen die beständige Auseinandersetzung mit konkreten Menschen, nicht abstrakten Fronten. Die Feindbilder wirken im Waffenstillstand nach der Kapitulation weiter, aber die Russen im Gutshaus und die Deutschen am Strand kommen sich näher, bleiben optisch voneinander getrennt, verhandeln aber pragmatisch miteinander.
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