Kritik zu 15 Jahre
Chris Kraus und Hannah Herzsprung kehren noch einmal zur Klaviervirtuosin Jenny von Loeben zurück, die in »Vier Minuten« (2006) als 20-Jährige als Mörderin verurteilt im Gefängnis landete
Diese junge Frau hat sich vor 18 Jahren eingebrannt in die Filmgeschichte, mit ihren rohen Gefühlen, ihren explosiven Leidenschaften, ihrer wuchtigen Verweigerung. Chris Kraus hat »Jenny von Loeben« 2006 in seinem Film »Vier Minuten« erfunden, Hannah Herzsprung hat sie als 27-Jährige mit großer Intensität und Power verkörpert – und wurde damit schlagartig berühmt. Jetzt ist Herzsprung 42 und sie und Kraus schauen sozusagen noch mal bei Jenny vorbei.
Ausgehend vom Foto einer alten Klavierlehrerin in einer Gefängniszelle erforschte Kraus damals die Gegensätze zwischen Kunst und Gewalt, Musik und Knast. Nun hat Jenny 15 Jahre im Gefängnis gesessen, für einen Mord, den ihr damals noch minderjähriger Freund begangen hatte. Seinerzeit hatte eine alte Klavierlehrerin ihr ein kreatives Ventil eröffnet, die Chance, bei einem Wettbewerb Klavier zu spielen, vier Minuten Erfüllung. Statt die Finger zur Faust zu ballen, ließ sie sie virtuos über die Tasten tanzen.
»15 Jahre« ist ein Sequel mit substanziellen Fragen: Was ist aus Jenny geworden? Wurde ihre jugendliche Rebellion gebändigt durch die Einsichten des Erwachsenseins, die Restriktionen des Gefängnisses? Ist sie ruhiger geworden? Versöhnlicher? Zuversichtlicher? Wird die Reintegration ins Leben mit kirchlicher Unterstützung gelingen?
Wohl eher nicht: Auch mit 42 Jahren wirkt Hannah Herzsprungs Jenny noch wie eine tickende Zeitbombe, das Gesicht ist fahl und verhärmt, die Züge verhärtet, der Glanz ihrer Augen erloschen, jede Faser ihres Körpers, jede Geste, jede Mimik verrät die toxische Mischung aus Resignation und Rachedurst. Eine falsche Bemerkung oder ein kleiner Fehler und sie reißt ihrer Kollegin fast das Ohr ab oder stürzt sich aggressiv auf den Polizisten, der ihr gerade das Leben gerettet hat. Wenn ihr etwas in die Quere kommt, kickt sie es aus dem Weg, ohne Rücksicht auf Verluste, selbst wenn es eine kostbare alte Geige ist. Ruppig pflaumt sie eine mittelmäßige Schülerin im Konservatorium an, wo sie im Rahmen ihrer Resozialisierung nicht spielen, sondern nur putzen darf, und diffamiert ein syrisches Folteropfer geschmacklos als Krüppel.
Jede kleinste Geste kann für sie zur Provokation werden, noch schlechter kann sie damit umgehen, wenn ihr jemand helfen will, so wie der Musiklehrer, der sie beim Putzen im Konservatorium erkennt und nicht zuschauen will, wie dieses Talent verschwendet wird. Er bringt sie mit dem syrischen Klavierspieler zusammen, dem die Schergen des IS eine Hand abgeschlagen haben. Gemeinsam sollen sie beim Fernsehspektakel für Talente mit Behinderungen auftreten, unter dem Label »Talent kennt keine Grenzen«, mit Albrecht Schuch als Juror namens Gimmiemore, eine Art Hipster-Punk-Variante von Dieter Bohlen. »Der Krüppel und die Bekloppte«? Ganz sicher nicht, kontert Jenny, doch dann merkt sie, dass dieser Gimmiemore der Mann ist, den sie mal so unbändig geliebt hat: »Was er mit dem Salat macht«, schwärmt sie in der Therapiegruppe, »so elegant, so männlich«. Umso stärker ist jetzt der Hass auf ihn, der ihr Leben verpfuscht hat. Für sie, stellt Omar fest, sei Musik »ram tam tam tam«, wie Holzhacken, für ihn sei es »la la la«, überleben. Während die Kamera bereits in Kreisbewegungen ihre Netze um Omar und Jenny spinnt, plant sie ihre Rache.
Es ist riskant, einem so wuchtigen Film wie »Vier Minuten« Jahre später etwas hinzufügen zu wollen. Chris Kraus packt viel hinein in »15 Jahre«, der Liebesgeschichte und Rachedrama ist, Musical und TV-Show-Satire und von Migration und Integration erzählen will. Ein bisschen zu viel, und gelegentlich schlingert er auch recht nah am Kitsch vorbei, nimmt die Kurve aber wieder, dank der großartigen Schauspieler, neben Albrecht Schuch und Hannah Herzsprung unter anderen noch Hassan Akkouch, Christian Friedel, Katharina Schüttler und Desirée Nosbusch. Und auch dank der erneut von Annette Focks kreierten Musik, und der pointierten Dialoge.
Kommentare
Jenny von Loeben
ein absolut beeindruckender Film mit vielen Tiefen. Meine Frage an den Regisseur: Wie kommt der Regisseur auf den Familiennamen von Loeben, eine alte sächsische Familie. Meine Mutter stammt aus dieser Familie und ist eine in Leipzig geborene von Loeben. Sie wurde auch im engen Kreise "Löwe"genannt.
Film "15 Jahre"
Meine Meinung zu "15 Jahre": Bitter enttäuscht, v.a. weil der erste Film so fantastisch war. Ist eigentlich während der Dreharbeiten niemandem aufgefallen, dass man etliche Sätze der Hauptdarsteller (v.a. Hannah Herzsprung, vor deren schauspielerischer Leistung ich ansonsten wirklich große Hochachtung habe) akustisch schlicht und einfach nicht versteht? Einfach zu schnell gesprochen und teilweise schwer verständlich dahingenuschelt (obwohl ich im Kino ganz vorne saß). Es gibt übrigens auch eine google-Rezension, in der das "Genuschel" kritisch erwähnt wird, ich bin also nicht die einzige mit diesem Problem – und garantiert (noch) nicht schwerhörig! Zumindest solche rein handwerklichen Fehler dürften doch nicht passieren.
Und dass zwei wichtige Figuren in den letzten Minuten des Films einen Messerstich ins Herz und einen Sprung aus dem Fenster überleben – wirklich, so richtig "aus dem Leben gegriffen"!
Auch vieles andere wirkte inhaltlich zerrissen und nicht überzeugend. Nach dem fulminanten ersten Film (Vier Minuten) wirklich eine große Enttäuschung. Lieber gar keinen Nachfolge-Film zu einem so grandiosen Film wie "Vier Minuten" machen als so einen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf und hoffe, dass der nächste Film wieder besser wird!
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