Kritik zu Die Theorie von Allem

© Neue Visionen Filmverleih

Timm Kröger kreiert in seinem neuen Spielfilm ein geheimnisvolles Multiversum jenseits der ausgetretenen Pfade des modernen Superheldenkinos – und lässt aus stilistischen Anklängen an die Filmgeschichte etwas rätselhaft Neues entstehen

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Es beginnt mit einem merkwürdigen Fernsehauftritt in einer bräsigen Siebzigerjahre-Talkshow: Der Physiker Johannes Leinert (Jan Bülow) hat ein Buch mit dem Titel »Die Theorie von Allem« veröffentlicht und wird darum als Studiogast eingeladen. Doch schon mit der Kategorisierung seiner Veröffentlichung als Roman hat der scheu und weltfremd wirkende Autor Schwierigkeiten. Er lässt durchblicken, dass das Label vom Verleger nur fabriziert wurde, weil er sich der Wirklichkeit verweigere. Schwer zu sagen, ob der Mann ein Spinner oder die Welt einfach noch nicht bereit ist für seine bahnbrechenden Erkenntnisse zu Quantentheorie und parallelen Wirklichkeiten, die in den Siebzigerjahren offenbar noch sehr viel geheimnisvoller wirkten als heute angesichts der inflationären Allgegenwart von Multiversen in den Superheldenfilmen. Johannes Leinert jedenfalls murmelt bald: »Das war ein Fehler«, und verlässt das Studio, nachdem er zuvor noch eine gewisse Karin vor laufender Kamera darum bittet, sich unbedingt bei ihm zu melden, falls sie das sehe. Hilflos versucht der Moderator, die Situation mit einem Witz zu retten: »Das war Johannes Leinert, der in seiner eigenen Welt lebt, nett, dass er in unserer vorbeigeschaut hat . . .« 

Realität und Fiktion, das Faktische und das Mögliche, Filmgeschichte und Filmmoderne, sie oszillieren in diesem Film wie die schillernden Farben thailändischer Seide. Aus den milchig verschwommenen Farben der Siebzigerjahre taucht der Film nach diesem Vorspiel ab ins Jahr 1962, in die scharfen Schwarz-Weiß-Kontraste, die man aus den Filmen der Fünfziger- und Sechzigerjahre kennt, und in die dunklen Bedrohungen, die in der Nachkriegszeit aus der Historie aufsteigen. Leinert reist mit seinem arrogant überheblichen Doktorvater (Hanns Zischler) im Zug zu einem Kongress in den Schweizer Alpen, wo die Kontraste zwischen dem Weiß des Schnees und dem Schwarz der Anzüge, Mäntel und Hüte der Männer extrem ist. Man denkt sofort an Hitchcock und Orson Welles, aber auch an die B-Movies der Vierziger- und Fünfzigerjahre. Film noir, Science-Fiction, Horror, ebenso schimmern Anklänge an die Paranoia-Thriller der Siebzigerjahre auf, und, ganz frisch, auch das mysteriöse Krimi-Diptychon »Trenque Lauquen«, in dem es ebenfalls um die Suche nach einer verschwundenen Frau ging. 

In seinem zweiten Spielfilm nach »Zerrumpelt Herz« mischt Timm Kröger die Karten der Filmgeschichte gründlich durch, um daraus etwas rätselhaft Neues entstehen zu lassen. Dazu gehört neben den grandiosen Cinemascope-Bildern von Roland Stuprich auch der symphonisch opulente Score von David Schweighart, in dem Zitate klassischer Filmmusiken von Bernard Hermann einen modernen, bisweilen fast psychedelischen Twist bekommen.

Zudem mischen sich in »Die Theorie von Allem« die Gespenster des Naziregimes mit den Bedrohungen durch die Atomkraft: Im Innern der massiven Gebirge wurden einst Uranerze abgebaut, radioaktive Strahlungen aus dem unterirdischen Höhlennetzwerk bedrohen die Idylle der Landschaft darüber, und womöglich auch das Raum-Zeit-Kontinuum, das die bekannte Welt zusammenhält. Aber womöglich spiegeln die psychedelischen Bilder im Höhleninneren auch nur den trunkenen Geisteszustand des jungen Physikers, die Art, wie der Boden der Wirklichkeit unter seinen Füßen zu schwanken beginnt. »Letztlich geht es darum: Ist das die einzige wirkliche Welt oder gibt es auch noch parallele Welten, in denen die Dinge anders verlaufen?«, fragt Johannes Leinert einmal. 

Dem Namen nach könnte er der Sohn oder Enkel des Musiklehrers Paul Leinert in Timm Krögers 1929 verortetem Spielfilmdebüt »Zerrumpelt Herz« sein, verkörpert wird er von Jan Bülow, der schon als junger Udo Lindenberg eine überzeugende Zeitreise in die frühen Jahre der Bundesrepublik unternommen hat. Niemand kann behaupten, nicht gewarnt worden zu sein: Natürlich ist es unmöglich, dass ein einzelner Film eine »Theorie von Allem« beinhalten kann. Doch auf wundersame und beeindruckende Weise gelingt es Timm Kröger, sie mit den Mitteln des Kinos vielschichtig anzudeuten.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ich möchte nicht an den Film erinnert werden,
Das beste war das das Kino beheizt ist.

Für die einen ist es Kunst, für uns war es extrem langweilig.

Man geht so deprimiert raus, dass man nach der nächsten Brücke sucht. Schlechte Kamera, grotesk wirkende Monologe, kaum nennenswerte sinnvolle Dialoge, keine richtigen Handlung im Sinne eines Physikerkongresses: ist DAS das "neue deutsche Kino?" Grrr.

Nicht nur dass die Bildqualität miserabel ist - nein, auch die Filmmusik ist extrem nervig und völlig unpassend. Ich war mehrmals kurz davor, den Saal zu verlassen. Der Film löst die Handlung nicht auf und lässt das Publikum ratlos zurück. Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie Filme nicht sein sollten. Weitere Filme von Timm Kröger tue ich mir lieber nicht an.

Wenn auch nicht konform mit den Dogmen der reinen Lehre der Quantentheorie ist der Film vielschichtig und tiefsinnig: Da bricht die "universelle Wellenfunktion", die alles Existentielle erfasst, für ihren jungen Entdecker kurzzeitig auf und versetzt ihn auf und in einem Zauberberg der Schweizer Alpen in einen Wirbel von Daseinssträngen, durchaus mit scheinbaren existenziellen Widersprüchen. Einer davon schildert eine ihm mögliche Zukunft.

Phantastisch sind zudem die visuellen Rahmen des film noir und die grossartige Musik, die das naturwissenschaftliche Mysterium verklärt.

Sehr empfehlenswert!

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