Kritik zu Die Saat
In ihrem zweiten Spielfilm (nach »Treppe aufwärts«) erzählt Mia Maariel Meyer von der Unmöglichkeit des sozialen Aufstiegs in Deutschland
Ein Mann liegt am Boden. Der Blick der Kamera fällt zunächst auf sein von Dreck verschmiertes Unterhemd. Schließlich nimmt sie sein Gesicht in den Fokus. Er wirkt wie ein Geschlagener, einer, der alles verloren hat. Der Regen, der auf ihn niederprasselt, gleicht einem höhnischen Kommentar. Aber nicht nur er ist am Ende. Ein Schnitt offenbart, dass auch ein Mädchen auf aufgeweichtem Boden liegt. Was ihr geschehen ist, lässt sich nicht einmal erahnen. Aber die Montage der Bilder deutet eine Verbindung an. Die extremen Nahaufnahmen lassen allerdings keine Schlüsse über den Ort oder auch die Orte des Geschehens zu.
Mit diesen Bildern zweier Menschen, die buchstäblich den Boden unter ihren Füßen verloren haben, beginnt Mia Maariel Meyers zweiter Kinofilm »Die Saat«. Ob sie wieder aufstehen werden und was dann womöglich geschieht, bleibt erst einmal im Dunkeln. Es folgt eine lange, fast den gesamten Film währende Rückblende, die zeigt, wie es mit dem aufrechten Handwerker Rainer (Hanno Koffler) und seiner beinahe 13 Jahre alten Tochter Doreen (Dora Zygouri) so weit kommen konnte, wie sie schließlich im Dreck gelandet sind.
Ein neues, besseres Leben sollte mit dem Umzug in die Vorstadt für Rainer und seine Familie beginnen. Nach langen Jahren harter Arbeit hat er es endlich geschafft. Sein Chef hat ihm bei seinem neuesten Projekt die Bauleitung übertragen. Mehr Verantwortung, mehr Geld, ein Aufstieg für einen, der immer schon bemüht war, es allen recht zu machen. Also hat die Familie ein Haus in einer schicken Gegend außerhalb der Stadt gekauft. Nur passen weder Rainer noch seine Frau und ihre Tochter Doreen in die Welt der hoch dotierten Angestellten und Freiberufler, in deren Garagen Luxuslimousinen und Sportwagen stehen und deren Kinder glauben, das Geld ihrer Eltern erlaube ihnen alles.
Doreen findet zwar bald in Mara eine neue Freundin. Nur versteht sie die Gesetze dieser für sie neuen Welt zu spät, und aus Mara wird schnell ihre größte Feindin. Auch Rainer muss erkennen, dass er sich über seine Zukunft Illusionen gemacht hat. Mia Maariel Meyer, die zusammen mit Hanno Koffler auch das Drehbuch zu »Die Saat« geschrieben hat, lässt keinen Zweifel daran, dass die gehobene Mittelschicht eine geschlossene Gesellschaft ist, die ihre Privilegien rücksichtslos verteidigt. Wer wie Rainer glaubt, es allein durch Fleiß und Arbeit schaffen zu können, wird letzten Endes nicht nur scheitern, sondern innerlich und äußerlich zerstört werden.
Diesen Prozess der Zerstörung fängt Meyer in Großaufnahmen und durch ein Sounddesign ein, das den Druck, der auf dem Familienvater lastet, auf eine aggressive Weise veräußerlicht. Es ist schmerzhaft, mitzuerleben, wie sich die Wut in ihm und Doreen immer mehr aufstaut. Aus zwei Sympathieträgern werden Menschen, die mit dem Rücken an der Wand stehen, Ihre wachsende Verzweiflung gebiert Gewalt. Die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse produzieren nichts als Abstumpfung, Lähmung oder eben Brutalität.
Kommentare
Die Saat
sehr guter Film, der reale Ängste und Probleme zeigt, von Leuten, die trotz ehrlicher Arbeit und aufrichtiger Bemühungen an der Profit orientieren Gesellschaft und Arbeitswelt die Verlierer sind. Das ist leider zu oft die traurige Wahrheit in Deutschland
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