Kritik zu Der schlimmste Mensch der Welt
Eine junge Frau in Oslo auf der Suche nach Antworten auf große Fragen und der eigenen Identität: Der norwegische Regisseur Joachim Trier trifft mit seinem Liebesfilm der Gegenwart vorbei an Kitsch und abgedroschenen Klischees ins Herz
Wie lange können der Idealismus und die Lebenslust der Adoleszenz vor der erdrückenden Erstarrung der Erwachsenen bewahrt werden? Vor all den sich aufdrängenden Pflichten und notwendigen Aufgaben, den einstudierten Gesten und vorgefertigten Phrasen? Mit »Der schlimmste Mensch der Welt« kehrt der norwegische Regisseur Joachim Trier in das aus seinen ersten Filmen vertraute Oslo zurück und lässt mit Julie (Renate Reinsve) eine unberechenbare, absolut gegenwärtige weibliche Figur ins Spiel kommen: Sie weiß nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anstellen soll. Weil sie so gute Noten hat, studiert sie Medizin, entdeckt dann ihr Interesse für Psychologie, nur um schließlich bei der Fotografie zu landen – so irgendwie jedenfalls.
Damit ist man auch schon mittendrin im Prolog von »Der schlimmste Mensch der Welt«, der uns seine unstete Hauptfigur vorstellt und den Tonfall der Geschichte setzt. Eine Erzählstimme schafft eine Distanz, wie als ließe sich hier irgendetwas in ein Sinngefüge einhegen. Im Verlauf des Films wird deutlich, dass die großen Narrative zerbrochen sind, nur noch Übergänge bilden.
Das Ich von Julie ist ständig in Bewegung, immer ein anderes, auf der Suche nach Intensität. Der Film zerfällt folglich in zwölf Kapitel, die mitunter auch als Kurzfilme funktionieren und jeweils eine eigene Atmosphäre entfalten. Julie wird sich in den etwas älteren erfolgreichen Comicautor Aksel (Anders Danielsen Lie) verlieben und mit ihm zusammenleben. Dann lernt sie auf einer Party den bodenständigen Eivind (Herbert Nordrum) kennen, der ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen will. Da sind das Gefühlschaos, die Fragen nach Kindern und der Ballast der eigenen Kindheit.
Verweilt man lediglich bei der Inhaltsangabe zu »Der schlimmste Mensch der Welt«, so vermittelt sich nichts vom Zauber dieses Films, der in eleganter Leichtfüßigkeit den Puls der Internetgeneration einfängt, ohne dabei auch nur in die Nähe eines plumpen Diskursfilms zu rücken. Joachim Trier ist dafür zu sehr an seinen Figuren interessiert und schafft existenzielle Blitzlichter auf den Bruch zwischen den Generationen.
Wenn Aksel von seinen analogen Fetischen erzählt, vom Sammeln von Platten und Comics, wird dies in keiner Weise nostalgisch bekräftigt. Das Horten von Artefakten ist eben auch nur eine Möglichkeit, mit der Flüchtigkeit des Lebens umzugehen, der Versuch, etwas bei sich zu behalten. Mit seiner Beziehung zu Julie mag dies nicht gelingen. Zumal sie auch deutlich jünger ist, ihre Lust auf das Leben noch ungebändigt und die Freiheit scheinbar unendlich.
In der Beziehung zu Eivind hingegen, der als Verkäufer in einer Bäckerei arbeitet, kann sich Julie beruhigen, alles ein wenig erden. Und natürlich ist da auch der Nervenkitzel des Verliebens, für das Trier romantisch-aufgekratzte Bilder findet, wenn die beiden beim ersten Flirt auf einer Party die Grenzen austesten: Wie weit kann man gehen, damit es noch kein Betrug am eigentlichen Partner ist? Sie beißen und kneifen sich, pinkeln voreinander und erzählen sich Geheimnisse. Sex haben sie keinen. Aber die ersten Züge im Liebesspiel sind eben doch gezogen.
Im Englischen spricht man von »to fall in love«. Von diesem Sturz erzählt »Der schlimmste Mensch der Welt« mit dem ganzen erzählerischen Furor, den das Kino bietet. Dabei entfalten die einzelnen Episoden eine stilistisch immer auch eigenwillige Dauer. Jeder Partner hinterlässt Spuren, lässt andere Facetten an Julie aufscheinen, wie auch Julie aus den Männern immer auch andere werden lässt. Sich in die Liebe zu stürzen, heißt, ein anderer zu werden, durch sich selbst und den Partner hindurchzufallen – und am Ende steht dann ein Prolog, der kein Ende sein will, denn der melancholische Sturz dieses Films hat kein Ende.
Kommentare
Trier
Joachim Trier gehört für mich zu den bedeutendsten Regisseuren unserer Zeit. Jeder seiner Filme hat einen ganz eigenen Zauber. Er sollte den Stellenwert von Lars von Trier haben. Unverständlich, wer am Ende die Aufmerksamkeit bekommt.
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