Kritik zu Spuren – Die Opfer des NSU
In Aysun Bademsoys Film bekommen die Opfer endlich die Hauptrolle
»Niemand kann mich heilen, die Wunden sind zu tief«, singen die Frauen im alevitischen Kulturverein in Dortmund, während sie Spieße mit Fleisch und Gemüse bestücken. Eine von ihnen weint. Es ist Elif, die Witwe von Mehmet Kubaşik, der am 4. April 2006 von Mitgliedern des sogenannten NSU in seinem Kiosk in Dortmund ermordet wurde. Nach der Tat wurde – wie bei den anderen Opfern der Neonazis – die Familie selbst der Verwicklung in Mafia, Geldwäsche oder andere krumme Geschäfte beschuldigt. Elif Kubaşik berichtet, dass Tochter Gamze deshalb ein Jahr nach dem Mord das Haus nicht verlassen wollte. Erst nach der Aufdeckung der wahren Täterschaft änderte sich das zwar. Doch der Schmerz bleibt.
Auch andere Familienangehörige von NSU-Opfern berichten im Film von der doppelten Verstörung durch die Morde und die massiven Anschuldigungen danach. Witwe Adile Şimşek wurden von den Ermittlern sogar Fotos einer angeblichen – erfundenen – Zweitfamilie ihres Mannes vorgelegt. Auch sie berichtet von der ersten Erleichterung nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt, die sie endlich wieder »aufrecht gehen« ließ. Diese wurde aber bald von den Umständen und dem Urteil des folgenden Prozesses im Juli 2018 überlagert, das zwei der Beschuldigten wieder in Freiheit entließ und entscheidenden Fragen nicht auf den Grund gehen wollte.
Wie acht der zehn NSU-Opfer ist auch die Berliner Dokumentarfilmerin Aysun Bademsoy türkisch-migrantischer Herkunft und mit ihren Eltern als Kind nach Deutschland gekommen. Auch deswegen verspüre sie besondere Verbundenheit mit ihnen, sagt sie. Am Münchner Prozess nahm sie von Anfang an als Beobachterin teil. Nach dessen Abschluss gelang es ihr auch, Kontakt zu einigen der Familien herzustellen, die in ihrem trotz aller Wucht unaufgeregten, mit einem zurückhaltenden selbst gesprochenen Kommentar strukturierten Film endlich einmal die Hauptrolle bekommen.
Neben den Kubaşiks sind das Ayse und İsmail Yozkat, die nach dem Urteil voller Verzweiflung mit einem Foto ihres Sohnes Angela Merkels Versprechen auf rücksichtslose Aufklärung einfordern. Da ist Osman, der Bruder von Süleyman Taşköprü in Hamburg, der sich an die Unterstützung des großen Bruders erinnert und mit seiner Schwester am Ort der Ermordung einen Stein zum Gedenken an den Ermordeten eingerichtet hat. Und – als starke Klammer des Films – Freunde und Verwandte von Enver Şimşek, der am 11. September 2000 an seinem Blumenstand in Nürnberg ermordet wurde. Da vertrat er wegen eines Urlaubs einen Mitarbeiter, der danach im Wald neben dem Stand Bäume gepflanzt hat und pflegt, die jetzt Äpfel und Walnüsse, Kirschen und Maulbeeren tragen. Witwe Adile hat das Gleiche getan, in der Türkei, weil sie und Tochter Semiya nach dem Prozess nicht in Deutschland bleiben wollten. So gibt es auch dort vor dem Haus, mit Blick in die Hügel der Umgebung und auf den nahen Friedhof, Bäume, die an Enver erinnern. »Mögen sie seiner Seele Schatten geben«, sagt Adile. In den Stein der Grabstelle sind Wasserstellen für Vögel eingelassen. Weil es so trocken hier ist, sagt Semya. Und wir glauben, dass diese für ihn beten.
Kommentare
Schreibfehler
Aua: Ayshe und Ismail *Yoskat* ist falsch geschrieben; der Nachname wird *Yozgat* geschrieben. Über eine Suchmaschine der Wahl leicht zu recherchieren....
Korrektur
Danke für den Hinweis. Der Fehler wurde ausgebessert. Besten Gruß aus der Redaktion
Fast....
Hallo Herr Hein,
gucken Sie doch bitte noch einmal genau hin... ;-)
Vom NSU-Prozess ist leider nicht viel bei mir hängen geblieben, außer dass eine umfassende Aufklärung dieser rechtsextremistischen Verbrechen immer noch aussteht.
Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt auf diesen Film.
Viele Grüße aus Hamburg!
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns