Kritik zu Menashe
Besetzt mit Laiendarstellern aus der Umgebung verfilmt Joshua Z. Weinstein eine Vater-Sohn-Geschichte mit dokumentarischen Einblicken in die verschlossene Welt einer chassidischen New Yorker Gemeinde
Rieven ist ein ausnehmend hübscher Junge mit einem wachen Gesicht unter dem dunklen Pagenkopf mit den Schläfenlocken. Er ist das einzige Kind seines kürzlich verwitweten Vaters. In der Welt um die beiden herum ist das höchst ungewöhnlich. Denn Rieven und Menashe wohnen zwar mitten in New York. Doch die räumlich so nahe Welt der Hipster ist mental himmelweit entfernt von der abgekapselten chassidischen Community von Borough Park in Brooklyn. Hier bedeuten gemeinschaftliche Frömmigkeit und patriarchal sittsames Familienleben alles, die strengen Regeln dafür werden vom Rabbi ausgelegt.
Der sagt jetzt, dass Menashe möglichst bald wieder heiraten muss. Doch der junge Vater fühlt sich dazu längst nicht bereit und deutet auch sonst die Gesetze des chassidischen Judentums eher auf lässig individualistische Art. Dabei hat der ärmlich lebende Angestellte eines lokalen Mini-Supermarktes trotz guter Laune privat und im Job kein Glück. Wohl auch deshalb soll Rieven bis zu einer neuen Heirat des Papas in einem »richtigen Heim« bei der Sieben-Kind-Familie von dessen Schwager unterkommen.
Dies ist der Stoff zum filmbestimmenden Konflikt. Doch der Film von Joshua Z. Weinstein ist bis zu seiner lakonischen Auflösung weniger an einer klassischen Plotentwicklung interessiert als an Atmosphäre. Denn der junge Regisseur fand über das Interesse am Sujet zu seinem Film. Als Filmemacher und Kameramann war er oft dokumentarisch in exotischen Gefilden unterwegs gewesen. Nun interessierte sich der liberale Jude aus New Jersey für die fremde orthodoxe Welt vor seiner Haustür.
Also suchte er für seinen ersten Spielfilm in Borough Park nach einem Stoff. Und fand Menashe Lustig, einen verwitweten Krämer mit einem Faible für Film, der in seiner Freizeit trotz des chassidischen Medienverbots komödiantische Videos bei YouTube einstellt. Seine schwierige Lebenssituation wurde (leider ohne den Schlenker zu den Videos) zur Grundlage dieses Films, er selbst der grandiose Hauptdarsteller. Auch die anderen Rollen wurden mit Chassidim vor Ort selbst besetzt und gegen viele Widerstände aus der Gemeinde dort gedreht.
Ein Film also, der eigentlich gar nicht sein dürfte. Vielleicht auch deswegen hat Weinstein ihn in eine Optik gesetzt, die die fast klaustrophobe Enge der Innenräume betont und draußen auf der Straße auf lange Brennweite setzt, die Menashe und Rieven von ihrer Umwelt isolieren. Doch es gibt auch die Chance, einen Blick ins Innere der abgeschotteten Gemeinschaft zu werfen – samt dunkler Betstuben, schnapsgesättigter Gesangseinlagen und dem Kugel, einer im Alltag von Borough Park bedeutsamen kohlenhydratreichen Spezialität.
Dabei stellt sich notgedrungen die Frage, ob die fast karikaturistische negative Zeichnung nahezu aller Personen im Umfeld der Helden – insbesondere Schwager Eizik (!) als fieser Widerling – nicht antisemitische Vorurteile bedienen könnte. Doch Engstirnigkeit ist es wohl egal, welchem Gott sie dient. Unbedingt hingewiesen werden muss noch auf ein besonders schönes sprachliches Alleinstellungsmerkmal des Films, der fast komplett in einem mit vielen Angliszismen aktulisierten Jiddisch gedreht ist.
Kommentare
personengestaltung
Ich finde den Film in seiner Beschränkung auf wenige Themen und Handlungsorte großartig und die handelnden Personen durchaus wandlungsfähig, was ihn von den meisten seiner Mitkunstwerke unterscheidet. Rieven ist durchaus nicht immer sicher in dem, was er will; der fiese Onkel auch nicht durch und durch fies. Eine archaische Welt, wie bei Christen die Amisch in all ihrer Beschränkung.
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