Babylon Berlin: Tanz auf dem Vulkan
»Babylon Berlin« (2017). © Sky
Können die Deutschen großes Serienfernsehen? »Babylon Berlin«, inszeniert von Tom Tykwer, Hendrik Handloegten und Achim von Borries, soll es beweisen. Der beispiellos aufwendige 16-Teiler führt in die späten Zwanzigerjahre zurück
Das Serienbusiness hat sich beschleunigt: In Zeiten des Streaming hätte der Zuschauer seine Staffeln gern komplett – zum Bingewatchen. Damit sind auch die Erwartungen an die Kritik gestiegen. Die Sender stellen aber für die Vorberichterstattung in der Regel nur ein paar Episoden zur Verfügung. Und im Fall von »Babylon Berlin« fängt die Sache nach vier Folgen erst an, richtig gut zu werden.
Das Projekt wirkt glamourös, es eilt ihm ein großer Ruf voraus, der allerdings nicht gleich einen guten Start bedeuten muss. Die Verkaufsargumente lauten: teuerste deutsche Serie aller Zeiten mit einem Budget von 40 Millionen Euro; finanziert unter anderem durch die Zusammenarbeit – auch das ein Debüt – zwischen öffentlich-rechtlichem und Bezahlfernsehen, konkret von ARD und Sky; geschrieben und umgesetzt von Hendrik Handloegten, Achim von Borries und dem deutschen Hollywoodexport Tom Tykwer nach einer Vorlage des Bestsellerautors Volker Kutscher; vor der Kamera ein prominenter Cast, darunter Lars Eidinger, Peter Kurth, Hannah Herzsprung, Benno Fürmann und Karl Markovics, um einige zu nennen. Man kann sich schon vorstellen, dass da ein gewisser Druck auf den Schultern der Produzenten lastet.
»Atmen sie ganz tief ein und wieder aus«, schnurrt denn auch gleich zu Beginn der ersten Folge von »Babylon Berlin« ein Hypnotiseur. Was das Mantra der Produzenten sein könnte, markiert den Einstieg ins Geschehen. Es folgt ein assoziativer Bilderreigen voller zukünftiger Ereignisse, später dann eine Kreis-Aufblende – dieses nostalgische Schmankerl wird am Anfang jeder Folge stehen – und man ist mittendrin im Berlin des Frühjahrs 1929, die »Golden Twenties« liegen in den letzten Zügen. Der Titel der Serie ist Programm: Dieses Berlin ist ein Moloch; Sünde, Korruption und Gewalt lauern, wie im Mythos um die biblische Stadt, hinter jeder Ecke. Hauptfigur ist der vom Krieg traumatisierte Kölner Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch), der in der Hauptstadt Jagd auf einen Pornoring und dessen mafiose Hintermänner macht. An seiner Seite Bruno Wolter von der Sitte, gespielt vom erneut fantastischen Peter Kurth, der mit seiner Berliner Schnauze immer einen Spruch parat hat: »So, meine Damen und Herren, alle in der Reihe aufstellen, die Genitalien eingesammelt und Schnauze dicht.« Dann sind da noch die hübsche und selbstbewusste Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries), die sich und ihre verarmte Familie mit Gelegenheitsjobs bei der Polizei und unmoralischen nächtlichen Aktivitäten über Wasser hält, eine Horde roter Russen, die einen Zug mit wichtiger Ladung erwartet und dabei verschiedene zwielichtige Interessen verfolgt, ein korrupter Restaurantchef und ein schmarotzender österreichischer Autor. Nicht zu vergessen der schrullige Kölner Apotheker, der sich über seine frigide Charlottenburger Ehefrau aufregt: »Ja, die tun ja immer ganz freizügisch, aber gegen ne eschte Kölner Mu können Sie die alle vergessen!«
Ein wahres Personenpanoptikum, das da in den ersten Folgen vorgestellt wird. Tykwer, Handloegten und Borries lassen die einzelnen Fäden der Geschichte mit teils geschicktem Suspense von der Rolle, den einen mehr, den anderen weniger, es gibt Überkreuzungen und parallele Entwicklungen, ganz im Geiste der großen horizontal erzählten Serien von der anderen Seite des Atlantiks. Mit treibender Dynamik wechseln die Orte und Personen, wird das am Zenit der Industrialisierung stehende Berlin Stück für Stück reanimiert, im Zeitgeist ein Pendant etwa zur englischen Serie »Peaky Blinders«, die das Birmingham der 1920er Jahre wiederauferstehen lässt. Gedreht wurde »Babylon Berlin« größtenteils im Studio Babelsberg vor den Kulissen von Tykwers Stammszenenbildner Uli Hanisch.
Gerade im Pilotfilm wird verdammt groß aufgefahren. In dieser Etablierungsphase, die viele Serien auf ihre eigene Art und Weise benötigen, bevor es in einen inhaltlich und ästhetisch gesetzteren Gang geht, baut das Regietrio ein ums andere Mal auf Budenzauber und überdosiert einige Ingredienzien. Da gibt es etwas zu viel Sünde und gewollt coolen hardboiled Charme, ein paar unnötige Klischees, einige früh vorhersehbare und dennoch bedeutungsaufgeladene Entwicklungen und einen Hang zur Befriedigung der Schaulust, der nicht immer sein Ziel erreicht. Etwa in jenem Moulin-Rouge-Moment, in dem eine verruchte Frau in Frack und Hut vor synchron tanzendem Publikum »Zu Asche, zu Staub, dem Licht geraubt« in Retro-Rammstein-Manier ins Mikro haucht und dabei von einem lüstern dreinblickenden Lars Eidinger samt Alibileberfleck begafft wird. Das sieht gut aus, wirkt aber affektiert und dadurch unfreiwillig komisch.
Und doch ist alles das spannend anzusehen, weil die vielen interessanten Charaktere, Handlungsfäden und historischen Verbindungen, etwa mit den Arbeiterprotesten, die als »Blutmai« in die Geschichte eingingen, ein starkes Fundament für eine ausgedehnte Erzählung bieten, die schließlich ihren optimalen Modus zu finden scheint. Man spürt förmlich das Durchatmen in einer wunderbaren Szene, in der zunächst ein Junge seinen taubstummen Eltern einen Radiobeitrag übersetzt und dann Gustav Mahlers »Und ich bin der Welt abhanden gekommen« zur akustischen Klammer für das visuelle Nebeneinander der verschiedenen Akteure wird. Ein Ruhepol voller Poesie in einer Serie, die zu etwas Größerem werden könnte.
Ausstrahlung
Ab So. 30.09.2018 (Folge 1-3), 20.15 Uhr in der ARD.
Do. 04.10.2018 ab 20.15 Uhr (Folge 4-6)
ab Do. 11.10. Doppelfolgen (Staffel 2 beginnt ab 18.10.2018)
Alle Folgen der ersten Staffel sind bereits in der ARD-Mediathek abrufbar.
Kommentare
Etwas zuviel Sünde
Herr Jens-Balkenborg,
hat man Sie in den Frühsechzigern eingefroren und heute wieder aufgetaut? Oder ist das dieses epdfilmding?
Gute Güte, diese Szenen sind so harmlos...
Wer dazuviel Sünde sieht ist entweder komplett verklemmt oder wirklich noch am Auftauen.
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