Kritik zu Das Mädchen und der Tod

© Farbfilm

Der niederländische Regisseur Jos Stelling hat mit hervorragender internationaler Besetzung einen elegischen Film über die Liebe und den Untergang gedreht

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Einen solchen unzeitgemäßen Film hat man selten gesehen, ein Werk, das mehr eine Elegie ist denn eine Erzählung, einen Film, der von den ganz großen Gefühlen handelt, von der Liebe und dem Hass, vom Begehren und der Rache, von der Liebe auf den ersten Blick, von den ungestümen Gefühlen der Jugend und dem Kalkül des Alters. Ein Film, der in Anspielungen schwelgt und der fotografiert ist, als wären seine Chiaroscuro-Aufnahmen dem Pinsel des Malers Vilhelm HammershØi entsprungen. Und wann hat man in letzter Zeit schon einen Film gesehen, dessen geheimes Zentrum ein Gedicht ist? Ein Poem, das von der Liebe handelt, ihrer Vergänglichkeit und ihrem Wiederaufflammen.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert verschlägt es den jungen Russen Nicolai (Leonid Bichevin) auf seinem Weg nach Paris im strömenden Regen nach Tannenberg in Sachsen, in ein Hotel, das eine seltsame Mischung ist aus Sanatorium und Bordell, ein Etablissement, dessen Unwirklichkeit sich ein Kafka hätte ausdenken können und das wie die Gesellschaft, die es bevölkert, den Keim des Untergangs in sich trägt. Vom ersten Augenblick an ist Nicolai fasziniert von Elise (Sylvia Hoeks), die, wie das ganze Haus, von dem reichen Grafen (Dieter Hallervorden) ausgehalten wird. Mit einem Blumenstrauß lässt er ihr Zeilen aus Puschkins berühmtestem Liebesgedicht »An ***« überbringen: »Ein Augenblick, ein wunderschöner,/ Vor meine Augen tratest Du«.

Versucht Elise anfangs noch, seiner Zuneigung zu entfliehen, so keimen auch in ihr langsam Gefühle auf, die dem eifersüchtigen Grafen nicht verborgen bleiben. Weil die Situation ausweglos ist, reist Nicolai ab und kehrt erst nach Jahren in Paris wieder zurück. Wenig hat sich verändert, und der Graf lässt einen Anschlag auf Nicolai ausführen. Jetzt bekennt sich Elise zu ihm, pflegt, selbst tuberkulosekrank, den Schwerverletzten und provoziert so die Abkehr des Grafen. Mittellos und mit Schulden stehen die beiden da, in dem Hotel, dessen einzige Bewohner sie sind, und aus der Not heraus wendet sich Elise wieder dem Grafen zu. Nicolai reist ab. Seine Rückkehr nach einigen Jahren wird zur Rache: Bei einem surrealen Kartenspiel stirbt der Graf, und Nicolai lässt seine Liebe erneut sitzen, aus tiefer Enttäuschung.

Das Mädchen und der Tod von Jos Stelling, der mit dem Film Der Weichensteller in den achtziger Jahren bekannt wurde und dessen letzte Arbeit Duska (2007) bei uns nicht ins Kino kam, ist eine holländisch-deutschrussische Koproduktion, mit hervorragenden Schauspielern, etwa der Russin Renata Litvinova als Elises Freundin Nina. Litvinova macht selbst Filme und hat mit ihren exaltierten Werken Kultstatus in der russischen Filmszene; ihr neuester spielt auch in der Abgeschlossenheit einer Anstalt, eines Hospitals. Oder Sergej Makovetsky als alter Nicolai, ein abgearbeiteter, melancholischer Mann, dem man ansieht, dass er schon mit dem Leben abgeschlossen hat. Der größte Coup für uns Deutsche ist aber Dieter Hallervorden als Graf, der hier so etwas wie ein schauspielerisches Comeback erlebt und seine Blödelrollen vergessen lässt, ein böser alter Mann mit schneidender Stimme, der seinen Gehstock wie ein Schwert benutzt. Um ihn herum hat Stelling Nebendarsteller gruppiert, die mit statuarischer Strenge das Hotel bevölkern und Nicolai wie dem Zuschauer ein permanentes Gefühl der Fremdheit vermitteln.

Und überhaupt das Hotel: Es gibt in Das Mädchen und der Tod nur wenige Außenaufnahmen, auch fotografiert in der Stimmung des Dämmers, der auch über den Innenaufnahmen liegt. Je weiter der Film fortschreitet, desto mehr zieht er sich in die Abgeschlossenheit der Zimmer zurück mit ihrem fahlen Licht, bei dem man nicht weiß, welche Zeit des Tages es gerade ist. Und am Ende, wenn der Hotelchef das verlassene Hotel abschließt, bleibt Elise allein hinter der Tür zurück.

Am Ende, nach einem ganzen Leben, wird Nicolai noch einmal in das inzwischen verfalleneHotel zurückkehren, an den Ort seiner großen Liebe und seines großen Fehlers, und seine längst verstorbene Geliebte im Traum umarmen, so liebevoll wie der verführerische Tod das Mädchen im Gedicht von Matthias Claudius, das Schubert vertont hat und das Pate stand für den Titel dieses Films: »Sei gutes Muts! Ich bin nicht wild,/ Sollst sanft in meinen Armen schlafen.

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