Kritik zu Der Wein und der Wind
In seinem zwölften Film erzählt Cédric Klapisch von der Heimkehr eines verlorenen Sohns, aber auch von der Schwierigkeit des Erbens, von Fortschritt und Tradition, von Mensch und Natur
Jean, der älteste Sohn, hat es auf dem kleinen Weingut im Burgund nicht mehr ausgehalten. Er musste raus, in die Weite der Welt. Seine beiden jüngeren Geschwister blieben zurück und haben sich gemeinsam mit dem Vater um das Gut und den Wein gekümmert. Nun liegt der alte Mann im Sterben. Also kehrt der mittlerweile 30-jährige Jean in seine Heimat zurück. Natürlich ist es ein von widersprüchlichen Gefühlen geprägtes Wiedersehen. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, in der sich viele Fragen und noch mehr Ressentiments anstauen können.
Diese Konstellation weckt Kinoerinnerungen. Immer wieder haben Filmemacher mit dem Topos der Rückkehr des verlorenen Sohns gespielt, zuletzt noch Xavier Dolan in seinem Melodrama »Einfach das Ende der Welt«. Doch trotz aller Nähe zum klassischen Topos folgt Cédric Klapisch einem ganz anderen Weg. An Stoff für große und kleine Dramen fehlt es in »Der Wein und der Wind« beileibe nicht. Jean (Pio Marmaï) kehrt nicht nur heim, seine Reise in die Vergangenheit ist auch eine Flucht vor den Problemen, die er und seine Frau in Australien haben.
Währenddessen kämpft Jeans jüngerer Bruder Jérémie (François Civil) um die Anerkennung seines übermächtigen Schwiegervaters, der ihm nichts zutraut. Und Schwester Juliette (Ana Girardot), die von ihrem Vater immer gegängelt wurde, weiß zwar um ihr außergewöhnliches Talent als Winzerin, aber es nagen auch ständig Selbstzweifel an ihr. Und zu alledem haben die drei Geschwister nicht die geringste Ahnung, wie sie das Familienweingut nach dem Tod des Vaters halten sollen. Die Erbschaftssteuer ist hoch. Nebenbei braucht Jean unbedingt Geld für seine Weinberge in Australien.
All diese Konflikte und Dramen schwingen die ganze Zeit über mit. Aber sie drängen sich nicht in den Vordergrund. Cédric Klapisch widmet ihnen nie mehr Aufmerksamkeit als dem Wetter und den Weinstöcken, dem Wind und den Bäumen. Ein Jahr lang begleitet und beobachtet er seine Figuren, die in Alexis Kavyrchines Panoramaaufnahmen und Totalen oft recht klein und beinahe unbedeutend wirken. Der Mensch drückt der Natur seinen Stempel auf. Aber er beherrscht sie nicht. Angesichts der Schönheit, aber auch der Krisen und Katastrophen, die der stete Fluss der Jahreszeiten mit sich bringt, verlieren die Irrungen und Wirrungen der Menschen viel von ihrem Pathos.
Nach der Beerdigung ihres Vaters holen Jean, Juliette und Jérémie zwei alte Weine aus dem Keller. Den einen hat noch ihr Großvater gemacht, den anderen ihr eben verstorbener Vater. Während sie die Weine fast ehrfürchtig trinken und dabei ihren Erinnerungen nachhängen, spiegelt sich in ihren Gesichtern eine Kaskade von Gefühlen. In ihren Weinen werden die Verstorbenen noch einmal lebendig. Klapisch inszeniert diesen Abschied als Moment des Verstehens. Plötzlich ergibt alles einen Sinn. Im Wein spiegeln sich eben nicht nur das Wetter und der Boden, er offenbart zugleich auch die Persönlichkeit seines Schöpfers. Im idealen Fall werden Mensch und Natur, Fortschritt und Tradition in ihm eins. Nach dieser Harmonie strebt Klapisch, und in einigen Momenten und Szenen erreicht er sie auch.
Kommentare
Der Wein und der Wind
Filmtechnisch, bildtechnisch und damit formal-programmatisch scheint mir wie in allen wichtigen Filmen nicht die Story in diesem Film der opulente Einsatz der Drohnen (jener Abbildungsmaschine des kleinen, nicht des großen und ganzen Überblicks), des Blicks von oben zu sein - und er sah, dass es gut war, könnte man sagen... Ganz im Unterschied zu der radikalen Untersicht etwa des frühen sowjetischen Films, der - trotz Untersicht - eben nicht die Einverständnis mit der bestehenden Weltordnung verkündete, bringt hier die Ober- oder Übersicht einen Impuls: Leute, das Leben ist schwer, aber: schön ist es auf der Welt zu sein.
Der inhaltlichen Botschaft (neben allen Einverständnis erheischenden handlungsmäßigen Arabesken), dass in Frankreich die besten Rotweine Europas und damit der Welt produziert werden, kann ich mich indes ohne Zögern anschließen.
Frank Hoffmann
Am Eiswerk 18
60 388 Frankfurt
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