Deutscher Film 1949-1963: Mamas Kino lebt!

»Die Mücke« (1954) mit Gustav Knuth, Margot Hielscher und Hilde Krahl

»Die Mücke« (1954) mit Gustav Knuth, Margot Hielscher und Hilde Krahl

Das deutsche Nachkriegskino in der Rezeption und Analyse: Wilhelm Roth über den Katalog zur Retro

Die prägnantesten Sätze zum deutschen Film der fünfziger Jahr hat Joe Hembus 1961 in dem Buch »Der deutsche Film kann gar nicht besser sein« formuliert: »Er ist schlecht. Es geht ihm schlecht. Er macht uns schlecht. Er wird schlecht behandelt. Er will auch weiterhin schlecht bleiben.« Der letzten Aussage wurde schon bald widersprochen, im Oberhausener Manifest von 1962: »Der alte Film ist tot, wir glauben an den neuen.« Der alte Film, das waren für Hembus und andere Kritiker Heimat- und Schlagerfilme, eine vom Markt beherrschte oder abhängige Produktion, künstlerisch belanglos, antiquiert und ohne politische Perspektive. Der neue Film, der Film der jungen Generation, das sollte der Autorenfilm sein, der aber vom Staat gefördert werden müsste. 1965 war es so weit – das Kuratorium junger deutscher Film wurde gegründet. Der erste Erfolg eines Kuratorium-Films: Alexander Kluges »Abschied von gestern« 1966 in Venedig.

»Abschied von gestern – (Anita G.)« (1966)

Es gab schon manchen Versuch, das negative Urteil über das Kino der Adenauer-Zeit zu revidieren, so 1989 durch eine Retrospektive des Deutschen Filmmuseums Frankfurt (epd Film 9/89). Frankfurt war auch jetzt der Motor für die großangelegte Retrospektive in Locarno, die inzwischen mit zum Teil wechselndem Programm weiterwandert. Der Katalog »Geliebt und verdrängt«, herausgegeben von Claudia Dillmann, Direktorin des Frankfurter Filminstituts, und Olaf Möller, Kurator der Retrospektive, liefert dazu reiches Material.

Ich ging schon in den fünfziger Jahren als Schüler in Regensburg und ab 1956 als Student in München häufig ins Kino. Im Kino liefen aber nur einige der Filme, die immer als Beweis für die Qualität des zeitgenössischen deutschen Films herangezogen werden. Ich sah Robert Siodmaks »Ratten« und »Nachts, wenn der Teufel kam«, »Weg ohne Umkehr« von Victor Vicas, das Experiment »Jonas« von Ottomar Domnick, Bernhard Wickis »Die Brücke«. Und auch die noch heute populären, wegen ihres kabarettistischen Stils aber häufig kritisierten »Wir Wunderkinder« von Kurt Hoffmann und »Das Mädchen Rosemarie« von Rolf Thiele.

Weitere wichtige Filme sah ich dann 1989 in Frankfurt, vor allem von zurückgekehrten Emigranten: Peter Lorres »Der Verlorene« (für mich das stärkste Erlebnis überhaupt), Walter Reischs »Die Mücke«, John Brahms »Die goldene Pest« und Gerd Oswalds »Am Tag, als der Regen kam«. Drei damals politisch aktuelle, aber vom Publikum gemiedene Nachkriegsproduktionen von Artur ­Brauner entdeckte ich erst vor kurzem auf DVD: Morituri , Sündige Grenze und Die Spur führt nach Berlin. Viele Retrofilme gibt es inzwischen auf DVD, kontrovers aufgenommene fehlen aber manchmal.

Künstlerisch wagemutige deutsche Filme spielten also in der Adenauer-Zeit keine besondere Rolle. Das lag einerseits an den Verleihern und den Kinos, andererseits an überkritischen Kritikern, besonders der Zeitschrift »Filmkritik«, die meist vergebens nach der zeitgeschichtlichen Stringenz der Filme suchten. So entgingen einem Filme wie Lorres »Verlorener«, weil sie kaum ins Kino kamen. Oder ambitionierte, aber umstrittene Filme, weil Kritiker, denen man vertraute, davon abrieten. Man übernahm deren Maßstäbe und versäumte Mittelmäßiges, aber auch Gewagtes. Die Oberhausener hatten leichtes Spiel, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass erst mit ihnen ein ernstzunehmender deutscher Nachkriegsfilm entstand.

Ausschlaggebend war für die kritischen Zuschauer aber wohl vor allem die Konkurrenz hervorragender europäischer und amerikanischer Filme, die nach dem Krieg in großer Zahl nach Deutschland kamen. Claudia Dillmann nennt in ihrem Katalogbeitrag, in dem sie die filmwirtschaftlichen Bedingungen der fünfziger Jahre darstellt, acht ausländische Filme, die in der Bundesrepublik besonders erfolgreich waren: »Der dritte Mann«, »Rebecca«, »Don Camillo und Peppone«, »Sie tanzte nur einen Sommer«, »Verdammt in alle Ewigkeit«, »Die Faust im Nacken«, »Rififi« und »Jenseits von Eden« – eine imponierende Liste, fehlt nur Fellinis »La strada«. Das Angebot war aber noch viel größer, es reichte zurück bis in die dreißiger und vierziger Jahre, zu Filmen, die im »Dritten Reich« nicht gezeigt werden konnten.

Neu in den Fünfzigern waren zum Beispiel Fellini und Visconti, Bergman und Truffaut. Begeistert haben Filme wie »Rashomon« mit seinen verschiedenen Erzählperspektiven und der russische Kriegs- oder eigentlich Antikriegsfilm »Wenn die Kraniche ziehen«. Die deutsche Filmszene damals hat reagiert, um dem reichhaltigen Angebot gerecht zu werden. Filmclubs und Filmkunsttheater entstanden. 1953 wurde der erste Filmkunst-Verleih gegründet, die Neue Filmkunst Walter Kirchner, im Eröffnungsprogramm Buñuels »Los Olvidados«, 1960 folgte Atlas Film, Start mit »12 Uhr Mittags«. Auch die Unterhaltung kam oft von draußen; Brigitte Bardot, Caterina Valente oder Elvis Presley waren auch hierzulande Stars. Die frühe Bundesrepublik war ein Kinowunderland – nur die deutschen Filme standen oft vor der Tür.

Wie interessant oder langweilig war sie nun wirklich, die deutsche Produktion, die Kunst und die Unterhaltung? In 33 Aufsätzen versucht der Katalog eine Antwort. Überraschend und spannend an dem Band: Er greift viel weiter aus als die übliche Diskussion über die Qualität des deutschen Nachkriegskinos. Die Autoren untersuchen nicht nur die immer wieder genannten anspruchsvollen Filme, sondern auch Melodramen, Actionfilme oder Krimis. Diese vom Publikum geliebten Filme waren oft Seismographen der politischen und sozialen Entwicklung in der Bundesrepublik, sie zeigten – so Olaf Möller – die Konfliktfreude und Aggression in einer oft als langweilig empfundenen Gesellschaft. Manche Autoren übertreiben allerdings etwas in ihrer Entdeckerfreude, im Lob für einzelne Filme oder auch nur für bestimmte Szenen oder Auftritte.

Diese Einschränkung gilt nicht für Dominik Graf, der in einem gründlich recherchierten Essay die Männerbilder des westdeutschen Films vorstellt, von O. W. Fischer, Dieter Borsche oder Curd Jürgens bis zu Mario Adorf, Horst Buchholz und Klaus Kinski. Man spürt Grafs Erfahrung als Regisseur. Marcus Stigleggers sehr analytischer Aufsatz über den Kriegsfilm der 1950er Jahre liest sich fast wie eine Ausformung der Beobachtungen von Graf. Ausführlich beschäftigt sich Stiglegger mit Frank Wisbar, dem ebenfalls aus dem Exil zurückgekehrten Regisseur, an den man sich vor allem wegen seines schonungslosen Stalingrad-Films »Hunde, wollt ihr ewig leben« erinnert. Wisbar ist noch ein zweiter Aufsatz von Fabian Schmidt gewidmet. Die Gegenwelt, die Rolle der Frauen, untersucht Rainer Knepperges; er ist der Überzeugung: »Mamas Kino lebt!« Knepperges porträtiert Ilse Kubaschewski, die mächtige Chefin des Gloria-Verleihs, und verteidigt sie gegen den Vorwurf, nur Kitsch produziert zu haben. Wie dominierend die Frauen waren, sieht man an den Stars jener Jahre, an Schauspielerinnen wie Hildegard Knef, Barbara Rütting, Ruth Leuwerik, Nadja Tiller oder Liselotte Pulver.

Besonders aufschlußreich sind drei Aufätze zu trivialen Genres, die verblüffend genau auf gesellschaftliche Entwicklungen und Fehlentwicklungen in der Bundesrepublik reagieren. Über das Melodram der frühen fünfziger Jahre, den »Gottesdienst der Tränen« (Harald Brauns »Nachtwache«), schreibt Werner Sudendorf. Christoph Huber beschäftigt sich mit der filmischen Umsetzung von Simmel-Romanen und anderer Tivialliteratur. Die oft überraschende Qualität der Kinokrimis, bevor sie vom »Tatort« abgelöst wurden, analysiert Peter Ellenbruch. Alle drei Autoren machen die Filme über die sie schreiben, außerordentlich lebendig – eine Verteidigung des bundesdeutschen Films aus einer Ecke, die die Oberhausener verblüfft, vielleicht sogar empört hätte.

Der Band enthält auch Porträts von Robert Siodmak (Hervé Dumont) und Victor Vicas (Stefanie Plappert), leider nicht von Georg Tressler oder Käutner und einigen Schauspielern. Immerhin, Käutner ist im ganzen Band die meistzitierte Person, gut beleuchtet vor allem in Rudolf Worschechs Analyse der Kamera­arbeit der fünfziger Jahre. Es lohnt sich, anhand des Registers nach den Käutner-Textpassagen zu suchen.


Geliebt und verdrängt. Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963. Herausgegeben von Claudia Dillmann und Olaf Möller. Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main 2016, 416 Seiten, 270 Abbildungen, 24,80 Euro.

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Meinung zum Thema

Kommentare

Das 3. Bild von oben zeigt nicht Nadja Tiller in Thieles DAS MÄDCHEN ROSEMARIE (1958) sondern Nina Hoss in Bernd Eichingers gleichnamigem Remake.

Danke, vollkommen korrekt. Das Bild ist ausgetauscht. Jetzt ist Herr Roths Beitrag visuell allerdings ungemein erotischer geworden. Besten Gruß, Christian Hein

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