Berlinale: Viel Regen, viel Stimmung
Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich – die französische Redensart könnte das geheime Motto der Berlinale sein. Da stürzt eine Pandemie die Filmindustrie in Umbrüche, eine neue Festivalleitung verspricht ästhetische Umorientierung und der Hauptstandort Potsdamer Platz wird radikal umgebaut: Die Berlinale selbst aber bleibt sich erstaunlich treu.
Man klagt über das Wetter – dieses Jahr regnet es zu viel –, über den Mangel an Stars auf dem Roten Teppich und den schlechten internationalen Stand des deutschen Kinos. Und dann demonstriert Jurypräsidentin Kristen Stewart mit iranischen Frauen und Schauspielerinnen vor dem Berlinalepalast – und allen Unkenrufen zum Trotz zeigt sich, dass die Berlinale ihren Ruf als politisches Festival verteidigt.
Die diesjährige Festivalauswahl schien ganz besonders darauf ausgerichtet, dem deutschen Film zu einer besseren Geltung zu verhelfen. Fünf von 19 Beiträgen allein im Wettbewerb sind deutsche Produktionen. Den Auftakt im Kampf um den Goldenen Bären machte Emily Atef mit ihrer Adaption von Daniela Kriens Wenderoman »Irgendwann werden wir uns alles erzählen«.
In nostalgischen Farben erzählt der Film vom Sommer 1990 in der ländlichen Noch-DDR als einer Art Ruhezeit vor dem großen Sturm: Die junge Maria (Marlene Burow) lebt bei ihrem Freund auf dem Bauernhof und wird von dessen Eltern wie eine Tochter behandelt. Heimlich und wie gegen ihren rationalen Willen beginnt sie eine erotisch aufgeladene Liebesaffäre mit dem 40-jährigen Hofnachbarn Henner (Felix Kramer), einem eigenbrötlerischen Außenseiter des Dorfs.
Mit viel Aufmerksamkeit für Details – von den Kleiderstoffen über die Kücheneinrichtungen bis zu den Wohnzimmertapeten – versucht Atef die Stimmung einer Zeit zu rekonstruieren, in der alles anders wurde, noch bevor das die meisten begreifen konnten. Doch wo man eigentlich die Spannung jenes Jahres fühlen müsste – die Unsicherheiten darüber, was mit der Wiedervereinigung kommt, und vielleicht auch ein bisschen Abrechnung mit der alten DDR –, herrscht im Film zu viel melancholischer Stillstand. Statt mit ihrer atmosphärischen Beschreibung zu packen, gerät Atef ihre Sommererzählung langatmig. Hauptdarstellerin Marlene Burow ist als schöne, junge Frau im Zentrum leider weniger Subjekt der Erzählung als Objekt der Betrachtung – und wird dennoch bereits als Kandidatin für einen möglichen Schauspielerpreis gehandelt.
Allerdings hat Burow ausgerechnet von einer Laiendarstellerin starke Konkurrenz bekommen, der 51-jährigen Mwajemi Hussein, die im neuen Film des australischen Regisseurs Rolf de Heer, »The Survival of Kindness«, die Hauptrolle spielt. Hussein, geboren in der Republik Kongo, floh im Alter von 20 Jahren nach Tansania, bevor sie schließlich in Australien Asyl fand. In de Heers dystopischen Film durchquert sie als stumme Zeugin ein von einer rätselhaften Pandemie und brutalem Rassismus gezeichnetes Land. Der Film ist eine mysteriöse Parabel, die mit ihren atmosphärischen Endzeit-Bildern in den Bann zieht – und ganz und gar vom Charisma Husseins lebt, deren mal stoische, mal verzweifelte Ausstrahlung die Aufmerksamkeit des Zuschauers bis zur letzten, verstörenden Minute fesselt.
Positiv überraschen konnte der Italiener Giacomo Abbruzzese mit »Disco Boy«. Darin spielt der deutsche Schauspieler Franz Rogowski den belarussischen Alex, der sich mit einem Freund nach Frankreich aufmacht. Nach dem illegalen Grenzübertritt landet er bei der Fremdenlegion und wird als Soldat nach Nigeria geschickt. Traumatisiert und enttäuscht kehrt er zurück. Der Anblick einer nigerianischen Tänzerin namens Manuela lässt ihn schließlich nicht mehr los – eine unerklärliche, gemeinsame Sehnsucht bringt sie zusammen. Abbruzzese erzählt vom Schicksal von Soldaten und Migranten als fiebriger Phantasie der Körper. Franz Rogowski zeigt sich einmal mehr als ein Meister des intensiven, ungeheuer ausstrahlungsstarken Schauspiels. Er allein schon sorgt dafür, dass es um den Stand des deutschen Films nicht schlecht bestellt scheint.
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