Berlinale: Ein Rummel wird das nicht
Es wird spannend. Am Donnerstag eröffnet die Berlinale mitten in die Omikron-Krise hinein. Das Festival folgt dabei einer Strategie, die durch Corona populär geworden ist: dem »Schweizer-Käse-Modell«. Eine Schweizer-Scheibe hat eine Menge Löcher. Aber je mehr Scheiben man übereinanderlegt, desto dichter wird die Sache. Eine Vielzahl von Abwehrmaßnahmen soll verhindern, dass es rund um den Potsdamer Platz zum Superspread kommt: die Verkürzung des offiziellen Programms von zehn auf sechs Tage, 2G mit Maske und Tests, Reduktion der Platzbelegung auf 50 Prozent, exklusiver Online-Ticketverkauf, deutlich weniger Filme in mehr Kinos.
Während andere Winterfestivals, etwa das amerikanische Sundance Filmfest, abgesagt, hybrid oder online veranstaltet wurden, ist die Berlinale kompromisslos auf »Präsenz« zugesteuert. Gedeckt von der Politik, namentlich der Berliner Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und der Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Nicht nur der hehre Kulturauftrag, auch die Konkurrenz mit den Festivals Cannes und Venedig, die 2021 stattfinden konnten, dürfte die erst seit 2020 installierte Berlinale-Leitung bei der Planung vorangetrieben haben.
Im vergangenen Jahr, als die Filmfestspiele geteilt worden waren – digitales Branchenevent im März plus Open-Air-Festival –, war die Situation eine andere: Kinos im Lockdown. Inzwischen läuft der Betrieb wieder; da lässt sich ein rein digitales Programm kaum legitimieren. Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek erläuterte im Branchenblatt »Blickpunkt: Film«: »Die Berlinale mit ihrem angestammten Termin im Februar ist auch dazu da, Filmen eine Startplattform zu bieten, um deren Marketingkampagnen für unmittelbar folgende Kinostarts anzustoßen. Weil die Kinos in diesem Jahr durchgehend geöffnet sind, können sie nicht bis zum Sommer warten.«
Zur Schweizer-Käse-Taktik gehören ein Party-Moratorium und, wie es heißt, ein striktes Reglement auf dem Roten Teppich. Für ein munteres, rummeliges Publikumsfestival wie die Berlinale, die normalerweise mit 300.000 Besuchern rechnen kann, ist das alles eine schwere Hypothek. Das vom künstlerischen Leiter Carlo Chatrian verantwortete Hauptprogramm strahlt denn auch einen gewissen Ernst aus. Kunstfilm-Fans dürfen sich auf einen ambitionierten Wettbewerb und die experimentelle Encounters-Sektion freuen – offensichtliche »Crowdpleaser«, Publikums-Hits, sind dagegen nicht auszumachen, auch keine großen Hollywoodproduktionen. Selbst in der Special-Sektion, die sonst auf »Glamour« ausgelegt ist, geht es vergleichsweise gediegen zu.
Im Wettbewerb mit 18 Filmen dominieren, bei erfreulicher Regisseurinnen-Quote, klassische Vertreter des Arthouse-Kinos, die meisten davon Berlinale-Bekannte, vom Südkoreaner Hong Sang-soo bis zum Italiener Paolo Taviani, der bereits einen Goldenen Bären in der Tasche hat (2012 für »Cäsar muss sterben«, damals noch mit seinem Bruder Vittorio). François Ozon eröffnet das Festival mit einer Variation auf einen der bekanntesten Fassbinder-Filme: »Peter von Kant«, mit Denis Ménochet, Isabelle Adjani und Hanna Schygulla. Überhaupt ist die Frankophonie stark vertreten. Auch Claire Denis und Mikhaël Hers aus Frankreich, die französisch-schweizerische Ursula Meier und der Kanadier Denis Côté haben geliefert; die Hommage ist Isabelle Huppert gewidmet, deren neuer Film »À propos de Joan« – ihr Ko-Star ist Lars Eidinger – als Berlinale Special Gala läuft.
Deutschland, das im vergangenen Jahr mit Dominik Grafs »Fabian«, Maria Schraders »Ich bin dein Mensch« und dem furiosen Dokumentarfilm »Herr Bachmann und seine Klasse« auf angenehme Weise auffällig war, schickt zwei Spielfilme in den Wettbewerb. In »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush« erzählt Andreas Dresen (»Halt auf freier Strecke«, »Gundermann«) vom Rechtsstreit um die Freilassung des von 2002 bis 2006 ohne Anklage in Guantanamo eingekerkerten Murat Kurnaz. In »A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe« von Nicolette Krebitz mit Sophie Rois, Milan Herms und Udo Kier geht es um eine ehemalige Schauspielerin, die sich in einen jungen Handtaschendieb verliebt.
Die Jury unter dem Vorsitz des US-Regisseurs M. Night Shyamalan ist »divers« und hochprofessionell besetzt. Was im Wirtschaftsteil oder Branchenbericht steht, ist am Ende vielleicht doch nur die halbe Wahrheit über die Berlinale, und das mit dem Kulturauftrag sollte hinhauen. Muss nur der Schweizer-Schicht-Käse halten.
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