Deutschland, deine Deutschen
»Deutsch ist wie Mathematik« heißt es einmal in »Die defekte Katze« von Regisseurin Susan Gordanshekan. Assistenzarzt Kian will seiner Ehefrau erklären wie Grammatik funktioniert und bringt damit auch auf den Punkt wie es hier in vielen Bereichen des Lebens abläuft. Alles folgt festen Regeln, wir deutschen lieben unsere Regeln und unsere Formeln, huldigen dem festen Ablauf wie alles zu funktionieren hat. Mina ist gerade aus dem Iran in Kians Wohnung gezogen, nach einer arrangierten Hochzeit. Mit 31 geriet Mina in ihrem Heimatland immer weiter unter Druck und gab schließlich den elterlichen Bemühungen nach. Kian (34) war bei der Partnersuche leider auch alles andere als erfolgreich und konnte niemanden mit den gleichen Vorstellungen und Werten finden. Der Elektroingenieurin wird die Integration nun nicht gerade leicht gemacht. Ohne zertifizierte Deutschkenntnisse hagelt es Absagen und außerhalb des Sprachkurses sind die Mitmenschen irgendwie so distanziert. Überall muss es schnell gehen, an der Supermarktkasse zum Beispiel. Aber da wo es Spaß macht, auf der Straße, da darf man es nicht. Die seltsamen Eigenarten sind ihr fremd und ihre Vorlieben für Farben und losgelöstes Tanzen wirken wiederum auf die anderen befremdlich. Zwischen den beiden frisch verheirateten brodelt es immer wieder und Kian, der sich als moderner Deutsch-Iraner von jeglichen Eigenarten der traditionell patriachalen Art des persischen Mannes frei geglaubt hatte, muss mit Erschrecken eigene Entgleisungen beobachten. »Die defekte Katze« nimmt nicht die arrangierte Hochzeit in den Fokus, was naheliegend gewesen wäre, sondern ist vielmehr ein sensibler Film über das Kennenlernen – nur eben nach der Eheschließung.
Eine wenig beachtete Randgruppe unserer Gesellschaft behandelt der Dokumentarfilm »draußen« von Tama Tobias-Macht und Johanna Sunder-Plassmann. Als Berber oder Penner werden obdachlose Menschen oft abfällig bezeichnet und als alkohol- oder drogenkranke Abgehängte im Vorbeigehen geächtet oder ignoriert. »draußen« zeigt vier Einzelschicksale von der Kölner Straße und bedient sich dabei eines raffinierten Kniffes: Anhand der wenigen Gegenstände, welche die Menschen bei sich tragen, wird von den Regisseurinnen eine Art Schicksalsforschung betrieben und es entfalten sich tiefgehende und sehr emotionale Geschichten von der geerbten Naturverbundenheit des Opas über verlorene Liebe bis zur kriminellen Karriere. Die Gegenstände werden zwischen den Erzählungen der Protagonisten kunstvoll arrangiert und als beeindruckende Bilder inszeniert. Diese Gedankenbilder – man sieht deutlich die Erfahrung der Regisseurinnen als Fotografin bzw. Ausstellungsgestalterin – bleiben im Kopf und verknüpfen das zuvor Erzählte mit den Personen. Der Einblick in das Leben der vom Leben verstoßenen soll zum Umdenken inspirieren und zum Hinschauen und Ansprechen animieren. Denn hauptsächlich im Gespräch können Vorurteile abgebaut und das Zwischenmenschliche zurückerobert werden. Der Film lässt die Härte der Straße und die Allgegenwärtigkeit von Drogen- und Alkohol(-entzug) im Hintergrund und konzentriert sich auf die Vier als die die sie sind: Matze, Elvis, Peter und Sergio.
Obdachloser, Penner oder Punk? Für Paul ist nicht verständlich warum ihm nur diese drei Bezeichnungen zur Auswahl gestellt werden. Paul (Sebastian Rudolph), Anfang Vierzig, hat dem bürgerlichen Leben zu Beginn von Julian Pörksens »Whatever happens next« spontan Adieu gesagt. Auf dem Weg zur Arbeit bleibt er plötzlich stehen und entledigt sich seiner Habseligkeiten um sich fortan als Herumtreiber durch die Welt zu schnorren. Ihn treibt keineswegs irgendeine Abhängigkeit auf die Straße, eher das Gegenteil. Paul bricht aus, aus dem Job und aus der Ehe mit seiner Frau Luise (Christine Hoppe) und aus dem Regelwerk der Gesellschaft, hinein in das unbeschwerte Leben ohne Verpflichtungen. Während seiner mehrmonatigen Abstinenz hat Luise einen Detektiv (Peter René Lüdicke) auf ihren Mann angesetzt, der ihn quer durch die Republik und bis nach Polen verfolgt. In dem Roadmovie begegnen Paul mit seiner »Einfach-Ja-sagen«-Attitüde allerhand Charaktere, die durchweg interessant sind, genregemäß jedoch nur angerissen werden. Die meiste Beachtung erhält dabei die junge Nele (Lilith Stangenberg), die Paul auf einer Raststätte trifft und der er fortan durch ihre faszinierend wundersame Welt folgt. Die schöne Vorstellung des unbestimmten Lebens und der persönlichen Freiheit ist in »Whatever happens next« sehr romantisiert dargestellt. Bis auf einen bizarren Überfall erlebt der mittellose Paul keine wirklich negativen Rückschläge auf seiner experimentellen Reise in die Freiheit. Der sympathische »Hans-guck-in-die-Luft« mit einer Menge Glück.
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